Von Katrin Ribbe
24.09.2014 / Hannoversche Allgemeine
In Volksrepublik Volkswagen von Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) begegnen sich zwei Global Player auf dem Theater. Das Land der Raubkopien wird auf die Bühne kopiert – und das Auto zur Erzählmaschine eines Roadmovies zwischen den Kontinenten. Die „Spielzeit“ sprach mit Stefan Kaegi über seinen „China Bilder Import“.
Hannover. Worum geht es in Ihrem Stück und was steht im Fokus der Handlung?
Schon der Untertitel „China Bilder Import“ zeigt an, worum es gehen soll: die Eindrücke eines nicht greifbaren Landes auf der Bühne zu zeigen. Es erzählt die Geschichten von fünf sogenannten Expats, die in unterschiedlichen Positionen bei VW in China anfangen zu arbeiten und ihre Eindrücke nach Hause schreiben. Neben dem Reisebericht geht es natürlich auch um den Wettstreit zwischen gleicher Unternehmenskultur und fremder Lebenskultur.
Wie kamen Sie auf die Idee zum Stück?
Ich war vor vielen Jahren mal bei einer Werksführung von Volkswagen in Brasilien. Seitdem fasziniert mich diese Welt. Als dann das Schauspiel Hannover anfragte, ob ich hier etwas machen könnte, kamen wir schnell auf das Thema Volkswagen und seinen weltweiten Einsatz. China spielt natürlich eine ganz besondere Rolle, nicht nur für VW, aber hier sind die Verbindungen einfach so direkt vorzeigbar. Wenn Volkswagen ein Drittel seiner Autos in China verkauft, dann heißt das auch, dass man extrem von diesem Markt und seinen Entwicklungen abhängig ist.
Sie haben sich auch in den Werkhallen von Volkswagen in Hannover umgeschaut - warum?
Weil es dort genauso aussieht wie in den Werkhallen in China. Ich habe mittlerweile mehr als sieben Werke besichtigt, und es ist überall das Gleiche. Da das Bühnenbild einen Ausschnitt eines VW-Werks darstellt, ist es für die Schauspieler und alle anderen Beteiligten wichtig, auch die reale Vorlage mal gesehen zu haben und die Abläufe dort zu beobachten, um sich dann auch realistisch im künstlichen Bühnenraum bewegen zu können. Da sind ja zum Teil Kleinigkeiten wie die Sauberkeit des Bodens oder die Lautstärke der Radios höchst interessant. Und natürlich macht da auch jeder seine eigenen Beobachtungen: Der Technische Leiter schwärmte von der Genauigkeit der Organisationsabläufe, von der Professionalität und Disziplin im Detail, während der Musiker von den Klängen im Presswerk und denen der Roboter erzählte. Ein Schauspieler meinte: „Ich war begeistert zu sehen, wie da aus einem Stückchen Metall, einem Nichts, etwas Wertvolles wird!“
Und was sind Ihre persönlichen Highlights?
Mich beeindrucken die Momente am meisten, wo die gepressten Einzelteile miteinander verschweißt werden und aus 2-D plötzlich 3-D wird. Und dann die nächsten Umschlagpunkte, wenn durch die Lackiererei Farbe Einzug in das Produktionsensemble hält.
Gibt es Parallelen in der Produktionsweise?
Das Presswerk ist die Dramaturgie, wo die ersten Konturen einer Produktion entstehen. Dann setzte ich mit meinem Team und dank der Recherchen den Rohbau zusammen. Das zog sich in diesem außergewöhnlichen Fall wirklich über ein Jahr hin, aber ein funktionstüchtiges und gutaussehendes Produkt entsteht erst in der sechswöchigen gemeinsamen Arbeit mit den Schauspielern und Tänzern in der Montage aller Gedanken und Versuche. Unsere Hochzeit kommt erst eine Woche vor der Premiere, wenn auf der Bühne zum ersten Mal alle Originalteile, die im Probenprozess auf parallelen Fertigungsstraßen hergestellt wurden, zusammenkommen. Dann folgt die Phase der Produktoptimierung, bis sich der Vorhang zur Premiere hebt und das Ergebnis vom Band läuft.
Und was werden wir da von China sehen?
Es gibt eine Reihe von Eindrücken, die die Expats vermitteln, das reicht vom Smog in Peking und dreistöckigen Autobahnen in Shanghai bis zu persönlichen Eindrücken, die ich auf meinen Reisen durchs Land gesammelt habe. Da erzählt ein Mann am Ufer eines Stausees vom Leben in dem untergegangen Dorf. Ein Milliardär schwärmt von der Übernahme deutscher Firmen, und ein Bauer erzählt, wie man Weizen mit Hilfe von Autos dreschen kann. Sie alle vermitteln den Eindruck eines sehr facettenreichen und komplexen Landes, das eben nicht mit Schlagwörtern wie „Diktatur“ oder „Kopierwerk“ zu greifen ist.
Welche Rolle spielt der Gedanke der Kopie in der Inszenierung?
Der Begriff der Kopie ist sehr vielseitig und eigentlich nur philosophisch zu fassen. Die Kopien von Know-how sind natürlich für Firmen wie Volkswagen eine große Gefahr; verständlicherweise hat man Angst davor und versucht sich zu schützen. Da geht es aber weniger um das Kopieren als um das Nichtbezahlen der Rechte dafür. Dann gibt es aber auch das Prinzip des Kopierens als Lernvorgang: in der Schule beim Nachsprechen, im Park beim Tai Chi, in der Bar beim Karaoke oder beim chinesischen Drachen in der Pekingoper. Der beste Nachahmer ist ein Meister. Und schließlich gibt es auch sehr lustige Phänomene, die wir vielleicht eher als Fake bezeichnen würden: nachgespielte Parteitage im Internet, Doppelgänger von Stars wie Mao, die auf Partys auftreten, mehrere Plätze des Himmlischen Friedens und sogar Fake-Interviews, die die Befragten nie gelesen haben.
Mit Susana Fernandes Genebra, Mathias Max Herrmann, Janko Kahle, Tomek Kolczynski, Fang Yun Lo, Hagen Oechel, Julia Schmalbrock und Kindern des KiKoBa Hannover