Von Christine Wahl
01.01.2006 / Theater der Zeit
(...) Gleichermassen zu beglückwünschen ist die dritte, die von der Bundeszentral berufene Jury für ihre Wahl: Die Theatermacherin Gesine Danckwart und die Kritiker Thomas Irmer und Dirk Pilz zogen aus dem bedenklichen Gesamtniveau, auf dem sich die Freie Szene hier präsentierte, die Konsequenz, den einzigen Beitrag zu prämieren, der im institutionalisierten Theater entstand: Stefan Kaegis Baseler „Mnemopark“, den man ausnahmsweise eingeladen hatte, weil Kaegi normalerweise in freien Zusammenhängen arbeitet – etwa als Mitglied des Trios Rimini Protokoll. Dass mit dieser Entscheidung Qualität, Standortbestimmung und Neudefinition des freien Theaters akut zur Debatte stehen, ist mehr als deutlich und war durchaus beabsichtigt. Kaegis später übereinstimmend mit dem Theater Basel getroffene Entscheidung, den Preis – eine Gastspieltournee – zurückzugeben, um der chronisch unterfinanzierten Freien Szene keine explizit für sie vorgesehenen Geldmittel zu entführen, entbehrtz vor diesem Hintergrund nicht einer gewissen Komik. Zum einen wird sich die konsequente Jury kaum auf eine Stellvertretersuche einlassen, und zum anderen wäare zu überlegen, ob Festivalteilnehmer solcherart Bedenken künftig nicht vielleicht schon im Vorfeld bewedeln könnten.
Wie dem auch sei: Tatsächlich wird „Mnemopark“ der Komplexität der gesellschaftlichen Zusammenhänge auf einem weit über dem Festivaldurchschnitt liegenden Niveau gerecht. Sieht man von der Gruppe Ramba-Zamba einmal ab, erschöpft sich Kaegis Konkurenz in Altbackenem: Sofern man sich überhaupt zu gesellschaftlichen Zusammenhängen verhielt, stagnierte man in ihrer mehr oder weniger gelungenen Ironisierung bzw. halbherzigen Dekonstruktion...
Bei Kaegi hingegen bauen Mitglieder der „Modulbau-Freunde Basel“ eine Schweizer Modelleisenbahn-Landschaft auf, die mittels origineller Technik – die Lok verfügt über eine integrierte Kamera – auf eine Leinwand übertragen wird. Die Modellwelt verdoppelt sich also in einem grossformatigen Film, der live vorm Zuschauerauge entsteht und die Dehnbarkeit von Begrifflichkeiten wie Dokumentatiuon, Fiktion und Realität aufs Intelligenteste vorführt. Perspektiven und Diskurse – hier von den Biografien der Darsteller bis zu den Plots in der Schweiz gedrehter Bollywoodfilme – kommentieren und dekonstruieren sich auf eine Weise, die tatsächlich für die Mechanismen zu sensiblisieren vermag, nach denen „Wirklichkeit“ in der viel zu zitierten Mediengesellschaft konstruiert wird...