Von Johanna Di Blasi
10.06.2002 / Hannoversche Allgemeine Zeitung
Ein tolles Bühnenbild und auch noch echt: die Marktkirche, das Rathaus, der gläserne Behnisch-Bau, besehen vom obersten Stockwerk des Kröpcke-Centers mit Feldstechern. Feuchtes Moos wuchert auf einer Zitadelle. Über Kopfhörer wird Ambient-Musik zugespielt, manchmal knistert es in der Leitung. Noch hat die Observierungsphase nicht begonnen. Ihr Deckname lautet „Sonde Hannover“. Die V-Männer sind bekannt: „Rimini Protokoll“, ein so unkonventionelles wie respektloses junges Theaterkollektiv.
Wir sitzen dicht gedrängt mit Ferngläsern auf unserem Beobachterposten im zehnten Stock. Ein Fensterputzer (echt) tritt auf dem schmalen Sims vor der Scheibe auf. Er zieht einen Vorhang auf und gibt den Blick frei auf den Kröpcke. Observierungspunkte werden angepeilt. Darunter eine Peer-group (echt?). Via Wanzen wird der Ton zugeschaltet.
Ein Wissenschaftler (über Tonband zugespielt) lenkt den Blick auf das bewegte Ganze, eine „gemanagte Population“. Sie ist leicht zu manipulieren. Zum Beispiel mit einem Fußball. Prompt zuckt es den Passanten in den Beinen, sie spielen sich den Ball zu. Das Geschehen auf dem Platz wird immer komplexer, surrealer, filmartiger: Ein Page in roter Livree gibt Leuchtzeichen, Diebe schleichen über den Platz, Tänzer huschen über das Pflaster.
In „Sonde Hannover“ mischen sich Alltag und Spiel auf phantasiebeflügelnde Weise. Es wird bei jeder Aufführung anders sein, und doch scheint in diesem exakt vorbereiteten, subtilen und intelligenten Spiel nichts zufällig. Ein Highlight der Theaterformen. Leider ausverkauft.