Tomaten aus Bulgarien

Interview Ventzislav Borissov und Nedjalko Nedjalkov fahren in "Cargo Sofia" den Lkw, in dem die Zuschauer durch die Stadt kutschiert werden. Gleichzeitig erzählen sie, via Mikro, ihrem Publikum Geschichten aus dem Lastwagenfahrerleben.

Von Sylvia Staude

24.11.2006 / Frankfurter Rundschau

Cargo Sofia - Eine bulgarische LastKraftWagen-Fahrt" ist ein Projekt des Theatermachers Stefan Kaegi, der - allein und als Teil der Gruppe Rimini Protokoll - bekannt wurde durch Inszenierungen, die mit "Experten" arbeiten, die keine Schauspieler sind. Hausmeister, Modelleisenbahnsammler, Physiker oder eben bulgarische Lastwagenfahrer. "Cargo Sofia" wird für jede Stadt neu eingerichtet.

In Frankfurt dockt "Cargo Sofia" am Künstlerhaus Mousonturm an, von wo der Laster, der zu einer Art Bus umgebaut wurde, jeweils um 19 Uhr losfährt. Am 24. sowie vom 27. November bis 1. Dezember. www.mousonturm.de

 

Nedjalko Nedjalkov zeigt Fotos von einem jüngeren Nedjalko Nedjalkov: aus dem Führerhaus eines Lasters schauend, mit muskulösen Kumpels in Badehosen im Sand von Kuwait, oder, auf einem Bild, in arabischer Kleidung.

Nedjalko Nedjalkov: Das ist in Kuwait, vor 25 Jahren, ich habe drei Jahre dort gearbeitet.

Frankfurter Rundschau: Als Lastwagenfahrer?

Nedjalkov: Ja, ich bin von Kuwait in den Irak gefahren und zurück. Kuwait - Irak, Irak - Kuwait. Mit einem großen Lkw. Stahl, Rohre. Es war ja Krieg zwischen Iran und Irak. Ich bin von Kuwait in den Irak gefahren, nach Bagdad oder in eine andere Stadt, und zurück dann leer. (Zeigt noch andere Fotos) Das bin ich mit einem Freund, auch Bulgare, und das ist eine muslimische Kirche, 600 Jahre alt. - Ich habe einen Sohn und eine Tochter, sie ist 26 Jahre alt, mit der Universität fertig, mein Sohn ist 24, er verkauft Gebrauchtwagen und studiert. Von meiner Frau bin ich geschieden, das war 1988. Meine Frau wollte ins Kino, tanzen gehen, aber ich habe ja nur gearbeitet.

Jetzt sind Sie wieder viel unterwegs. Wie haben Sie eigentlich erfahren, dass der Theatermacher Stefan Kaegi Lastwagenfahrer sucht für sein Projekt?

Nedjalkov: Aus der Zeitung. Dass Stefan Lastkraftwagenfahrer sucht, dass man sich vorstellen muss. Er wollte dann wissen, wie lange ich als Lastkraftwagenfahrer arbeite, ich habe gesagt: seit 25 Jahren. Und erzählt. Da hat er gesagt: "Gut, gut! Gute Geschichte, das mit Kuwait." Ich bin ja in Russland gefahren, Irak, Frankreich, Spanien, auch Luxemburg. Dort wurden Fahrer aus Russland, Rumänien, Bulgarien angeheuert.

In "Cargo Sofia" erzählen Sie auch einige Ihrer Erlebnisse.

Nedjalkov: Ja, Geschichten, Geschichten. In Kuwait zum Beispiel kosten drei Liter Benzin ungefähr so viel wie ein Liter Mineralwasser (lacht). Ich bin einmal mit Fleisch aus Frankreich in den Irak gefahren, aber dann ging mir der Treibstoff aus, ich hätte zwei, drei Tage auf neuen warten sollen. Aber ich hatte einen Playboy dabei, aus Deutschland oder Italien, ich weiß nicht mehr. Der wurde sofort genommen, und ich bekam meinen Treibstoff.

Wie lange sind Sie schon bei "Cargo Sofia"?

Nedjalkov: Ungefähr einen Monat. Ich bin glücklich über diese Arbeit. Auch über die Zusammenarbeit mit Vento: Ich bin 53 Jahre alt und er auch, ich rauche, trinke aber nicht, er trinkt gern mal ein Bier, raucht aber nicht - das passt (lacht). In Riga, wo wir gerade waren, war es sehr kalt, es lag Schnee, aber in Frankfurt ist super Wetter.

Sind Sie zum ersten Mal in Frankfurt?

Nedjalkov: Nein, vor zehn, zwölf Jahren war ich schon mal da, mit Tomaten aus Bulgarien.

Sie haben heute geprobt, was wird auf diesen Proben vor Ort gemacht?

Nedjalkov: Stefan sagt zum Beispiel: Stopp, hier erzählt ihr diese Geschichte, stopp, hier, bei der Brücke, ist diese Geschichte dran, stopp ... Das Erzählen ist nicht das Problem, aber wir müssen uns ja auch die Strecke merken, in jeder Stadt eine andere. Müssen also an die Strecke denken, an den Verkehr, an die Geschichten.

Ventzislav Borissov kommt dazu, er hat am Lastwagen noch etwas repariert. Er hat bereits rund 60 "Cargo"-Fahrten gemacht.

Ventzislav Borissov: Ich war in Berlin, Essen, Avignon, Zagreb, Ljubljana, Belgrad, Sofia, Riga ... (auch er hat Fotos dabei, vor allem von seiner Familie). Mein Sohn macht gerade in München ein Praktikum, am Samstag kommt er nach Frankfurt.

Warum sind Sie zum Casting für dieses Projekt gegangen, was reizte Sie daran?

Borissov: Weil diese Arbeit so neu für mich war, ich bin ja immer Lastwagenfahrer und Busfahrer gewesen. Aber am Anfang dachte ich, oh Gott, das ist nichts für mich, das ist zu kompliziert, da habe ich zu viel Stress.

Aber nun machen Sie das schon eine ganze Weile, wie ist es jetzt mit dem Stress?

Borissov: Bei jeder Vorstellung kommt das Adrenalin, Adrenalin im Kopf, im Herzen - das ist immer noch so. In Riga mussten wir Englisch sprechen, hier Deutsch, in Zagreb, Ljubljana, Belgrad habe ich Serbisch gesprochen, in Bulgarien Bulgarisch - mein Kopf ist schon riesig ...

Wo haben Sie so gut Deutsch gelernt?

Borissov: Vor vier Jahren habe ich in Deutschland gearbeitet, in einer kleinen, aber guten Stadt, Nördlingen, zwischen Augsburg und Nürnberg. Für eine Firma für Rohrleitungsbau. Dort habe ich den Radlader gefahren. Das war eine schöne Zeit.

Waren Sie beide überrascht, dass man auch Geld verdienen kann, indem man bei einem solchen Projekt mitmacht?

Nedjalkov: Das ist normal.

Normal?

Borissov: Wir verdienen hier besser als in Bulgarien. Aber ich denke immer an meine Familie, meine Kinder. Jeden Tag spreche ich mit meiner Frau, sie ist Lehrerin, heute habe ich auch mit meinem Sohn telefoniert.

Aber als Lastwagenfahrer waren Sie doch bestimmt auch dauernd unterwegs? Wo waren Sie überall?

Borissov: In ganz Europa. Ehemalige Sowjetunion, Finnland, Türkei, Syrien, Ukraine, Spanien ... manchmal ist man 17, 18 Tage unterwegs, weil man Ladung von zwei, drei Firmen hat, ein Teil muss nach Paris, der andere nach Lyon, das kostet viel Zeit. Und manchmal ruft noch der Chef an, sagt, Vento, warum machst Du Pause? Aber ich trinke ja schon Kaffee und Red Bull und Energy Drinks. Viele Male bin ich schon 16, 17 Stunden am Stück gefahren. Aber wenn ich richtig müde bin, fahre ich auf den Parkplatz, mach mir schnell was zu Essen und schlafe.

Erzählen Sie mir doch auch noch eine Ihrer Geschichten.

Borissov: Als ich Busfahrer war, musste ich öfter zwischen Bulgarien und Serbien über die Grenze, das ist die schlimmste aller Grenzen. Für einen normalen Bus kostete das eine Stange Zigaretten. Dann kam ich mit einem zweistöckigen Bus, da wollte der Zöllner zwei Stangen. Ich habe ihn gefragt: Warum willst Du zwei Stangen Zigaretten, ich hab nur 36 Leute dabei, mein Bus ist nicht voll. Er hat gesagt: Für mich sind das zwei Busse. Wenn ich sie ihm nicht gegeben hätte, hätte ich rechts rausfahren müssen, für fünf, sechs, sieben Stunden. Früher war Jugoslawien ein Land, jetzt hat es lauter Grenzen, und an jeder Grenze warten wir viele Stunden. Das ist unglaublich.

Interview: Sylvia Staude


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Dokument erstellt am 23.11.2006 um 16:48:22 Uhr
Letzte Änderung am 23.11.2006 um 17:09:48 Uhr
Erscheinungsdatum 24.11.2006

 

 


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