Von Marcus Hladek
21.02.2008 / Frankfurter Neue Presse
Helgard Haug und Daniel Wetzel, der Regiekern der Gruppe, zählen zu den Absolventen des Gießener Instituts für Theaterwissenschaft. Seit das Regieduo mit Bewohnerinnen des Seniorenstifts am Mousonturm ihr Formel-1-Projekt „Kreuzworträtsel Boxenstopp“ (2000) inszenierte, haben sie ihr Arbeitsprinzip ständig variiert und „Rimini Protokoll“ unter die besten „non-dramatischen“ Gruppen gehievt. Stets lassen die zwei Laien bestimmter „Milieus“ in je angepassten Formen von sich erzählen.
„Breaking News“ versammelt sechs Bewohner des Mietshauses Pallasstraße 6 (Berlin). Dessen Hausfassade auf Schiebewänden dient bis Vorstellungsbeginn als Bühnenvorhang, wird dann umgedreht (Rückseite: eine Weltkarte) und rückt nach hinten, während vorn Gestelle mit Fernsehmonitoren sichtbar werden. Denn darum geht es: Wie kommt die Welt in die Satellitenschüsseln der Balkone?
Dass der Theateressay über das Funktionieren der globalen Medien selbst funktioniert, liegt zunächst an den gewählten Bewohnern, die auf die Bühne treten: der Russisch-Dolmetscherin im Innenministerium und der ZDF-Nachrichtencutterin; der indischen Radiojournalistin und dem Kurdenpolitiker und jesidischen („zoroastrischen“) Priester; dem isländischen Journalisten und dem Lateinamerikakenner. Lauter „gefundene Experten“, die als Bühnenäquivalent des unschuldigen „objet trouvé“ von einst fürs mediale Heute einstehen. Sie tun dies noch besser, weil Haug/Wetzel weitere Experten hinzuziehen, um das „Dolmetschen“ der sechs nachrichtengucker zu lenken und zu kommentieren: den Afrika-Experten Hans Hübner, den Systemkritiker des „Tagesschau“-Journalismus Walter van Rossum und Andreas Osterhaus, der seinen Beruf als Chef vom Dienst des deutschen Zweigs einer Nachrichtenagentur auf die Bühne überträgt. Als „Nachrichten-Broker“ erteilt/entzieht er das Wort und wählt die Bilder aus.
Die Pallasstraße 6 liegt eher zufällig auf einer Bunkerruine am Berliner Sportpalast und trägt den Namen Pallas Athenes, der Göttin technischer Fertigkeiten, die, wie Nachrichtensatelliten ins All, aus Zeus’ Kopf entsprang. Und sie ist ein Haus im globalen Dorf. Lässt man den hohen Informationswert des Abends beiseite, verzaubert vor allem eins: Interessante Menschen werden plastisch beim Sprechen über sich und die Nachrichten. Den schönsten Bruch (oder Rahmen?) zieht „Rimini“ dem Stück ein, wenn Hübner vom hohen „Olymp“ aus an Aischylos’ „Perser“ erinnert, das älteste Drama Europas und das einzig „nachrichtenaktuelle“ der Griechen. Der Bote als erster Sprecher, Xerxes’ Mutter Atossa als erste „Hörerin“ – gibt es denn gar nichts Neues unter der Sonne?