Von Morten Kantsteiner
01.11.2003 / Theater der Zeit November 2003
(...) Der „Markt der Märkte“ von Helgard Haug und Daniel Wetzel bezieht seinen Reiz gerade daraus, dass das Theater ganz aus seinem angestammten Gehege befreit und in der freien Wildbahn ausgesetzt wird.
In solchen Übungen haben die beiden angewandten Theaterwissenschaftler mittlerweile Routine. Als Angehörige des „Rimini Protokoll“-Kollektivs haben sie die Realität ins Theater geholt – einen echten Krematoriumsgründer, einen echten Trauerredner, eine echte Medizinstudentin ins Hamburger Schauspielhaus – oder umgekehrt das Theater ins wahre Leben injiziert – so in Hannover, wo die Zuschauer per Fernglas einen öffentlichen Platz observieren durften. Diesmal haben Haug und Wetzel als Einstiegsstelle in die Realität die Buden des Bonner Marktes ausgewählt. Sie schicken eine halbes Dutzend Statisten in das Marktgeschehen und setzen das Publikum auf den Außenbalkon eines Kinos. Von dort kann man dann den Blick über den Platz schweifen lassen, während man per Kopfhörer beschallt wird: mit aufgezeichneten Selbstaussagen von Marktverkäufern, den Kommentaren einer anonymen Off-Stimme und Live-Beiträgen der Statisten.
Seine Erfüllung erreicht das Projekt, wenn seine Zugehörigkeit zum Theateruniversum nur noch für die Beteiligten zu erkennen ist. Wenn etwa drei halbstarke Passanten neugierig vor einem der Statisten stehen bleiben, der so tut, als böte er hier zwischen den Bonner Gemüseständen Opernkarten für Bayreuth zum Tausch an. Dass sein Verhalten nicht ganz den Imperativen der Realität entspricht, können die Jungs gleich erkennen. Aber sie ordnen ihn zweifellos als Spinner ein, den man ungestraft ein wenig provozieren darf. Die Fiktion bleibt für sie unsichtbar. Sehen Sie genau hin, meine Damen und Herren, das Theater ist verschwunden. Weggezaubert. (...)