Von Felizitas Ammann
04.04.2008 / Tages-Anzeiger
Zürich, Ringier-Pressehaus. - Das Konzept der Einheit von Zeit und Raum auf der Bühne ist längst veraltet. Üblicherweise aber geht man noch davon aus, dass Zeit und Raum für die Beteiligten einheitlich sind: Dass Theater also die gemeinsame Anwesenheit der Zuschauer und Darsteller voraussetzt. Dass es ein kollektives Erlebnis ist und eines mit einigermassen eindeutiger Kommunikationsstruktur. Nichts davon in der neuen Produktion von Rimini Protokoll, die gleichzeitig in drei Städten Premiere feiert. « Call Cutta in a Box » beginnt damit, dass ich mir einen persönlichen, 50-minütigen Termin geben lasse. Und das «interkontinentale Telefonstück» wird damit enden, dass ich in einem Zürcher Büro mit einem Mann in Kalkutta zusammen tanze. Doch der Reihe nach.
Rimini Protokoll - das Regietrio Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel - hat sich einen Namen gemacht, indem es Laien, so genannte «Experten des Alltags», auf die Bühne bringt. Letztes Jahr am Zürcher Pfauen waren das Zeugen der Uraufführung von Dürrenmatts «Besuch der alten Dame». Diesmal sind die Experten alles andere als Augenzeugen, eher schon Ohrenmenschen. Es sind Angestellte eines indischen Callcenters. Sie waren schon Teil des Vorläuferstücks «Call Cutta» von 2005. Damals lotsten sie von Kalkutta aus die Zuschauer am Handy durch Berlin.
Diesmal geht der Zuschauer durchs Ringier-Hochhaus zu einem kleinen Büro, in dem schon das Telefon klingelt. Man hebt ab, und das Stück beginnt. Am anderen Ende der Leitung ist Islam Mohammed, «Islam wie die Religion», und bietet erst mal einen Tee an. Wie die Stadtführer in «Call Cutta», so kennt auch er auf mysteriöse Weise den Raum, in dem sich der Zuschauer befindet, und kann bei Bedarf sogar Wasser kochen oder Licht anmachen. Durch die Beschränkung aufs Büro ist man weniger abgelenkt als bei der Stadtführung, die Begegnung selbst rückt ins Zentrum.
Das Tête-à-Tête im Zeitalter der Internettelefonie erweist sich als vieldeutig: Das Gespräch changiert zwischen fröhlichem Kaffeeklatsch, geheimnisvollem Flirt und interkulturellen Verständigungsproblemen. Wieso entsteht so schnell Intimität, wenn Islam ein indisches Lied singt? Woran liegts, dass er auf manche Scherze nicht reagiert?
Der Mann spricht so gut Deutsch, dass man schnell vergisst, wie weit weg er ist. Was ja der Trick der ausgelagerten Callcenter ist: Die Angestellten lernen die Sprache und geben sich als Landsleute aus. Im Hintergrund lautes Klatschen. Das seien die Kollegen, die Mobiltelefone nach Australien verkaufen, erzählt Islam: «Wer einen Vertrag abschliesst, bekommt von den anderen Applaus.» Bekommt er ebenfalls Applaus? Ist unser Gespräch nur eine normale Dienstleistung? Oder wirklich eine persönliche Begegnung? Oder am Ende gar Theater?
Was auch immer. « Call Cutta in a Box », das sind letztlich 50 Minuten, die verzaubern, die Spass machen, zum Denken anregen und ein bisschen die Ohren öffnen für jene Leute, welche täglich durch die Datenströme der Welt jagen - abends aber wie wir mit dem Bus nach Hause fahren.
Bis 30. April und 3. bis 29. Juni, täglich ausser montags 14 bis 19 Uhr. www.schauspielhaus.ch www.call-cutta.in