Von Tim Schomacker
21.11.2014 / nachtkritik.de
Die Veränderung des Klimas in einen Theaterabend zu gießen; kein eben leichtes Unterfangen. Doch eigentlich geht es darum nicht. Die neue Produktion von Rimini Protokoll rückt weniger die Klimaveränderungen selbst ins Zentrum als die Konferenzen, die davon handeln, wie diesen Veränderungen zu begegnen ist. Namentlich jene, die als 20. UN-Klimakonferenz demnächst in Perus Hauptstadt Lima beginnt. Zwölf Konferenztage Anfang Dezember werden gewissermaßen im Schnelldurchlauf vorweggenommen. Absichtserklärungen zur geplanten Reduktion von Treibhausgas-Emissionen inbegriffen.
Klima- und Konferenzexperten
Die "Welt-Klimakonferenz" lenkt das Augenmerk auf Entscheidungsprozesse und auf den Wissens-Transfer von Experten zu Entscheidern. Die Entscheider geben wir Zuschauenden an diesem Abend. Jeder und jede erhält – als Zugangsberechtigungsnachweis – einen "Reisepass" am roten Schlüsselband. Die rund zwei Dutzend Expertinnen und Experten spielen sich selbst. Polarforscher und Politikwissenschaftlerinnen, Spezialist/innen für Wald und Wirtschaft, für globale Erwärmungsmodelle und lokale Modelprojekte. Nicht wenige von ihnen haben beruflich auch mit jenen internationalen Konferenzen zu tun, deren Zählung sich auf die Verabschiedung der UN-Klimarahmenkonvention von Rio 1992 bezieht. Und deren bekannteste wohl jene ist, nach der 1997 das Kyoto-Protokoll benannt wurde.
Unangenehm, wenn einem am Eingang ausgerechnet eine Flagge mit rotem Ahornblatt umgehängt wird. Schließlich hat Kanada nicht nur seine Zustimmung zum Kyoto-Protokoll vor drei Jahren zurückgezogen, sondern mit dem massiven Abbau ölhaltiger Teersande den nationalen Ausstoß klimaschädlicher Gase verglichen mit dem offiziellen Referenzjahr 1990 noch um 30 Prozent erhöht. Ich hoffe, diese kanadische Position nicht vor versammeltem Auditorium vertreten zu müssen.
"Szenario Polkappenschmelze"
So weit geht diese Simulation schlussendlich nicht. Ich muss nichts sagen im Plenum. Und darf am Ende sogar dreimal so viel in den "Green Climate Fund" einzahlen wie das echte Kanada es an just diesem 21. November in der Welt da draußen tatsächlich verspricht. 265 Millionen US-Dollar gegenüber satten 750 Millionen, die meine vierköpfige Delegiertengruppe lockerzumachen bereit ist.
Zuvor hatten wir – zusammen mit Vertreter/innen immer wieder anderer Länder – allgemeine Appelle an die Verantwortung von uns Industrienationen gehört, Informationen über die geopolitische Bedeutung der durch Abschmelzen arktischer Landeismassen frei werdenden Rohstoff-Ressourcen erhalten, uns Einblicke in Strategien der Finanzierung globalen (und globalisierten) Klimaschutzes verschafft und uns mit dem komplexen wie langwierigen Weg einer (gewünschten) Formulierung in ein offizielles Dokument vertraut gemacht. Es ist viel Bewegung auf Treppen, in den Foyers und Gängen des Schauspielhauses. Als ich auf dem Weg vom "Szenario Polkappenschmelze" im oberen Rangfoyer zum "Strategiegespräch" im Marmorsaal den Kopf wende, als könnte ich meine Simulations-Mitstreiter tatsächlich verlieren, hat sich immerhin ein Gruppen-Feeling hergestellt.
Internationale Diplomaten-Maschine
Mit viel Gefühl für die Form von Konferenzen, für die widersprüchlichen und widerstreitenden Positionen, nicht zuletzt für die diplomatisch-politische Komplexität dieses Themas schickt uns Rimini Protokoll durch Räume und Vorträge. Taktung und Design sind perfekt. Was diese "Welt-Klimakonferenz" indes nicht findet, ist eine theatrale oder partizipations-performative Form, die einen als Beteiligten näher heranbringt an Bedrängnisse, Stress und Paradoxien der Verhandlungen. Des Verhandeln-Müssens. Des Aushandelns. Kanada baumelt um den Hals – und bleibt ein Zeichen für jenen "abstrakten Ort irgendwo anders", von dem der Physiker und Klimaforscher Florian Rauser als Moderator und Versammlungsleiter eingangs gesprochen hatte. "Wenn wir Sie ansprechen, meinen wir tatsächlich Sie", hatte Rauser gesagt. "Ihre Aufgabe ist, sich hineinzudenken in die jeweilige Position." Was sich als deutlich leichter erweist als sich in der Rolle des Delegierten tatsächlich einzufinden. Simulation hin, Szenario her – man hat ja nichts zu entscheiden. Und das kriegt man nicht aus dem Kopf in dieser souverän angedeuteten internationalen Diplomaten-Maschine.
Und auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schwanken in ihrer Ansprache bedenklich: Hab ich nun Zuschauer vor mir, interessierte Bürger, denen ich Sachverhalte andeuten kann – oder sind wir alle noch im Spiel. Kanada oder Kritiker. So geht diese "Welt-Klimakonferenz" nach drei meist kurzweiligen Stunden nicht als Offenbarung neuer dokumentarischer Theaterformen zu Ende. Sondern als schlaues Infotainment.
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