Sicherheitskonferenz als Theaterstück uraufgeführt
Kaegis temporeiche Inszenierung gefeiert
Von Ulrike Köppen
23.10.2009 / ddp
Bei dieser «Sicherheitskonferenz» beschränkt sich die Politprominenz aufs Zuhören. Sie sitzt an einem Tisch mit einem afghanischen Widerstandskämpfer, einer jungen Somalierin, einem Kriegskameramann, einem Robotik-Tüftler und folgt deren Erzählungen.
Regisseur Stefan Kaegi vom preisgekrönten Theaterkollektiv Rimini Protokoll inszenierte einen künstlerischen Gegenentwurf zur umstrittenen jährlichen Münchner Sicherheitskonferenz: Die Uraufführung des packenden wie unterhaltenden Stücks wurde am Donnerstag im Neuen Haus der Münchner Kammerspielen mit langanhaltendem Applaus gefeiert.
Für die Inszenierung wurde der Festsaal des Hotels Bayerischer Hof, in dem sich alljährlich im Februar Spitzenpolitiker treffen, im Theater nachgestellt. Am Eingang werden aus Theaterbesuchern hochrangige Politiker und Experten: Jeder erhält ein Namenschild - wird beispielsweise zu EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Bundesnachrichtendienst-Präsident Ernst Uhrlau oder Sicherheitskonferenz-Leiter Wolfgang Ischinger - und nimmt am großen ovalen Konferenztisch Platz.
Einmal mehr setzt Kaegi auf das «Experten-Theater», für das Rimini Protokoll weit über den deutschen Sprachraum hinaus berühmt ist. Im Mittelpunkt des Stücks stehen neun sorgsam ausgewählte reale Menschen und ihre Biografien. Sechs von ihnen treten selbst auf, drei werden durch Schauspieler vertreten.
Jeder der neun Protagonisten bietet einen eigenen Blick auf den vielschichtigen Themenkomplex Sicherheit. Die Somalierin Amran Abdilahi berichtet von der Tötung ihres Vaters und Bruders im Bürgerkrieg, der Iman der afghanischen Gemeinde in München, Sidigullah Fadai, von seinem Einsatz für Frieden in seiner Heimat.
Hauptfeldwebel Christiane Ernst-Zettl (großartig vertreten von Schauspielerin Caroline Ebner) schildert ihre Erlebnisse in Bosnien und Afghanistan.
Der langjährige Chefkoordinator der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ohlert, erzählt von den Tücken des Protokolls und dem Zusammentreffen von Sicherheitspolitikern mit Playboy-Bunnys. Dolmetscherin Heide Mößlang (vertreten durch Annette Paulmann) berichtet von schlummernden Tagungsteilnehmern und sprachlichen Unzulänglichkeiten der Politiker.
Programmierer Klaus Wintermayr erläutert den Einsatz von Militär-Drohnen, der junge Politologe Konstantinos Tsetsos zeigt Kriegssimulationen am Computer, und eine Führungskraft aus der Rüstungsindustrie (vertreten durch Jochen Noch) philosophiert über fehlende Supermärkte in Afghanistan.
Kaegi setzt bei seiner Inszenierung auf Parallelität. Anhand ausgewählter Jahreszahlen erzählen die Protagonisten in kurzen Sequenzen abwechselnd ihre Biografien, beginnend von 1990 über das Jahr 2001 mit den Anschlägen vom 11. September bis heute. Mehrfach reden die «Experten des Alltags» gleichzeitig, wobei das Publikum in mehrere Gruppen unterteilt über Konferenzkopfhörer jeweils einen von ihnen hört.
Damit werden die Grenzen zwischen den Biografien aufgeweicht, die unterschiedlichen Realitäts- und Bedeutungsebenen vermischen sich. So lauscht beispielsweise ein Teil der Theaterbesucher über Kopfhörer den Schilderungen der Dolmetscherin, während die Somalierin ein selbstgenähtes Tuch präsentiert, über die große Videoleinwand alte Aufnahmen des afghanischen Imams flimmern und der Politologe auf einem Bildschirm die Simulation eines Kriegs zwischen Iran und Irak im Jahr 2012 durchspielt.
Die Reizdichte ist hoch. Neben Videoprojektionen kommen eine fahrende Miniaturkamera zum Einsatz, ein rollender Blumentopf, kämpfende Roboter, ein Quattrokopter mit Kamera. Dennoch nimmt sich die temporeiche Inszenierung viel Zeit für die neuen Biografien. Kaegi fällt dabei keine Urteile, sondern präsentiert vielfältige Fakten und Fragen. Das Stück informiert und klärt auf, bewegt und macht betroffen, regt zum Nachdenken, aber auch zum Schmunzeln und Lachen an.
Das Spannungsfeld der Sicherheitspolitik offenbart sich am Schluss pointiert im Gegensatz zwischen der Somalierin und dem Afghanen: Während sie auf eine Entwaffnung der Kriegsparteien durch internationale Truppen hofft, sieht er keine Chance für Frieden in seinem Land, solange ausländische Soldaten dort sind.
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