Von Volker Trauth
20.11.2005 / DeutschlandRadio Berlin
Beim Festival "Politik im Freien Theater" präsentierten sich in Berlin professionelle freie Theatergruppen.
So brachte die Züricher Regisseurin Barbara Weber mit "mother t." eine parodistische Zuspitzung des Charity-Jetsets um Mutter Teresa auf die Bühne. "Sehnsucht" lautete das Motto dieses Festivals.
Eine Szene aus Barbara Webers Züricher Inszenierung "mother t.". Papst Johannes XXIII. bereitet, assistiert von einem Kardinal der römischen Kirche, die Seligsprechung von Mutter Teresa vor. Die junge Regisseurin setzt ihre zum Geheimtipp in der Freien Szene gewordene "Unplugged"-Reihe fort, innerhalb der sie legendäre Filme oder massenhaft abgebildete politische Ereignisse in parodistischer Zuspitzung und komödiantischer Überzeichnung auf die Bühne bringt - in diesem Falle den internationalen Charity-Jetset mit dessen Gallionsfigur Mutter Teresa.
Zwei Schauspieler und ein Musiker entwerfen, von Rolle zu Rolle springend, einen zum Brüllen komischen, gleichwohl zum Nachdenken zwingenden Bühne-Comic. Mutter Teresa fliegt von einer Werbeveranstaltung zur anderen, zählt atemlos die Dollarscheine und verschmilzt schließlich mit der Königin der Herzen, Lady Diana zu einer Figur des Gutmenschenbusiness. Im Zusammenklang von brisantem Inhalt und ungewöhnlicher Formensprache entspricht die Inszenierung den Auswahlkriterien des Festivals. Dazu die Kuratorin Sabrina Zwache:
Es geht darum, dass wir versucht haben, auf der einen Seite Stücke und Stoffe zu finden, die eine politische Relevanz haben, aber eben auch Ästhetiken zu finden, die neu sind, oder die auf jeden Fall einen Diskurs generieren, wo man sich darüber unterhalten kann, was ist Theater, was bringt Theater, was kann Theater überhaupt leisten mit Ästhetik.
Betrachtet man die einzelnen Beiträge, so scheint dieses Vorhaben mitunter in Vergessenheit zu geraten. Am weitesten entfernt von der Einladung zur politischen Diskussion war das Projekt des electronic music theaters aus Frankfurt mit dem Projekt "Marx". Die Bühne wird zum Schauplatz einer medialen Collage über den Namen Marx als Symbol, Ikone und Chiffre. An ihren elektronischen Baukästen sitzen vier Musiker und improvisieren mit Hilfe ihrer Instrumente, Verstärker und Sampler zu wahllos eingeworfenen Begriffen, Namen, Liedern und Märschen. Text wird zum Klang und Musik zum Denkanstoß. Ein Musiker singt, verfremdet fast bis zur Unkenntlichkeit, das Lied von den unsterblichen Opfern.
War die Vorstellung des electronic music theaters am weitesten weg von unserer Wirklichkeit und warf die Frage auf, was hieran politisch sein soll, so lieferte sich die Inszenierung "Alibis" von der Gruppe Hoffmann & Lindholm fast vollständig dem Alltagsmaterial aus. Vier Personen, Nichtschauspieler und so genannte "Spezialisten des Alltags", teilen uns, scheinbar ohne jeden Zusammenhang und frei von irgendwelchen Emotionen Beobachtungen aus ihrem gesellschaftlichen Umfeld mit.
Texte von Vereinsamung, Vereinzelung und Kontaktunfähigkeit sind das. Einer erzählt, auf welch unsinnige Art er Spuren von seiner Existenz legen wollte, ein anderer davon, wie er seine Erinnerungslücken das eigene Leben betreffend mit Fotos einer Ausstellung auffüllen wollte. Jedoch: die seltsame Versuchsanordnung nutzt sich bald ab und versinkt in Gleichförmigkeit und Langeweile - ein Problem auch anderer hier gezeigter Versuche, Wirklichkeit ohne dramatische Formung auf die Bühne zu bringen. Auf ganz andere Weise ging das "fringe ensemble" aus Münster mit Wirklichkeitsmaterial in der Inszenierung "Grenzgänger" um. Ausländer erzählen von ihrem Fremdsein in Deutschland und ihren zumeist abenteuerlichen Grenzübertritten.
Fremd in Deutschland bleiben auch ein hier geborener Kroate, ein italienischer Eisbarbesitzer, eine Togolesin und ein rumänischer Gastarbeiter. Das Problem der Inszenierung: Sie bemüht sich wirkungssüchtig um eine äußerliche Kunsthaftigkeit. Regieeinfälle, die nicht durch den Text beglaubigt sind, ertüftelte Metaphern, ins Hysterische gesteigerte Gefühlsausbrüche.
Eine witzige Variante inszenierter Alltagsmaterialien lieferte der von seinen Arbeiten mit der Gruppe "Rimini-Protokoll" bekannt gewordene Stefan Kaegi mit seiner Baseler Inszenierung mit dem Titel "Mnemopark". Kamerabestückte Modelleisenbahnen fahren durch eine Modelllandschaft Schweiz Die einzelnen Bastler von Modelleisenbahnen und Landschaften erzählen nicht nur von ihren Produktionstechniken und -materialien, sondern auch aus ihrem Leben. Ganz unaufdringlich kommen individuelle und gesamtgesellschaftliche Überlebensprobleme ins Spiel, aber dem ehrgeizigen Titel des Festivals entsprach auch dieser Beitrag nur bedingt.
Das 6. Festival Politik im Freien Theater fand vom 10. bis 20. November 2005 in Berlin statt.