Von Joshua Schößler
25.02.2019 / fr.de
In der U-Bahn steht nirgendwo, dass man leise sein soll. Trotzdem sagt niemand was“, stellt der kleine Arun fest. Der Schüler interessiert sich für die Regeln sozialen Zusammenlebens, die offiziellen wie die inoffiziellen. Arun ist Beifahrer von Rudi, einem Verkehrsunternehmer mittleren Alters, der das Herz auf der Zunge trägt. Er fährt einen großen LKW, in dem früher einmal Schweinehälften transportiert wurden. Doch anstelle hängender Frischfleischhälften sitzen im umgebauten Laderaum Zuschauer auf einer dreireihigen Tribüne, die zur linken Fahrzeugseite hin ausgerichtet ist. Die Wand, auf die die Fahrgäste blicken, lässt sich automatisch hochfahren. Dahinter verbirgt sich eine große Glasscheibe, durch die man zwar von innen nach draußen, aber nicht von draußen nach innen schauen kann.
So lässt sich das Grundkonzept des von der Aktionskunstgruppe Rimini Protokoll durchgeführten Projekts „Do’s & Don’ts Frankfurt/Main“ beschreiben. Der Titel wird groß geschrieben, die Performance im Programm des Mousonturm verspricht „eine Fahrt nach allen Regel der Stadt“, unter Leitung von Arun und Rudi geht es durch Frankfurt und Offenbach. Manchmal kann man die beiden per Videoschaltung in der Fahrerkabine beobachten, meistens aber hört man sie nur. Mit viel Quatschhumor sinnieren sie darüber, was die Menschen auf den Straßen so treiben, spielen Spiele gegen Langeweile im Frankfurter Abendverkehrsstau oder stellen Überlegungen über den Sinn und Unsinn von Regeln an. Arun nimmt dabei die Rolle des scharfen Beobachters und Idealisten ein, Rudi die eines am Weltgeschehen nur halb interessierten Pragmatikers.
Für vorbeigehende Fußgänger vollkommen unsichtbar wird mitten auf Frankfurts Konstablerwache die Bühne positioniert. Man kann unbeobachtet dem regen Treiben aus nächster Nähe folgen. Das ist durchaus witzig. Eine alte Frau bleibt vor dem Wagen stehen, kratzt sich an der Nase, nicht ahnend, dass ein Publikum sie dabei beobachtet. Es kommt sogar beinahe zu einer Gewalttat zwischen zwei Personen. Passiert das wirklich? Ist das Teil der Performance? Man weiß es nicht. Ein Moment, für den sich die Tour auf alle Fälle lohnt: Unsichtbar dem zwielichtigen Treiben im Bahnhofsviertel zuschauen. Hinter der verspiegelten LKW-Scheibe Voyeure.
Nach einer Weile wird Arun durch Isaak abgelöst. Er sieht sich als Teil der unter anderem von Greta Thunberg losgetretenen Klimaschutzbewegung. Isaak hat die Welt ganz genau verstanden: Da sind die profitgierigen Großbanken, leistungsgeile Mitschüler, umweltvergessene und rücksichtslose Erwachsene. Man müsse endlich etwas tun, sonst gehe die Welt den Bach hinunter. Isaak geht es nicht nur um Regeln sozialen Miteinanders in einem begrenzten Raum, sondern um den Erhalt einer zukunftsfähigen Weltgemeinschaft. Welche Regeln braucht es hierfür?
Man erwartet, dass einem gerade an den öffentlichen Plätzen vom urbanen Geschehen nicht nur etwas gezeigt, sondern auch vom allgemeinen Getriebe der Welt etwas erklärt wird. Doch diese Aktion ist ergebnisoffen angelegt. Die von den Kindern und Rudi angestellten Überlegungen, Assoziationen und Späße laden zur Reflexion ein.
Gleichzeitig bilden sie aber auch die Perspektiven, durch die der Zuschauer etwas erfährt. Die Verbindungen zwischen den Regeln sozialen Miteinanders und einer globalisierten Weltgemeinschaft werden lose geknüpft. Vor allem aber sind es die absurden Situationen, in die man als Unsichtbarer an öffentlichen Plätzen gerät, so dass man sich umso nachhaltiger erinnert.