Von Bettina Fraschke
05.04.2009 / Hannoversche Allgemeine
Das Stück ist die Aktionärsversammlung der Daimler AG
Fünf Akte, ein gutes Dutzend Hauptrollen, eine durchdesignte Inszenierung und ein neugieriges Publikum. Das Regieteam Rimini Protokoll betrachtet die Aktionärsversammlung der Daimler AG am Mittwoch im Berliner ICC als Theaterstück und lud dazu ein. Es gibt ein dickes Programmheft, 200 Theaterbesucher unter den etwa 8000 Aktionären - und anfängliche Irritationen beim Auto-Konzern. Wir sprachen mit Stefan Kaegi von Rimini Protokoll.
Herr Kaegi, was für ein Stück wird denn gegeben - angesichts der Krise könnte man eine Tragödie erwarten?
Kaegi: Vielleicht. Es wird Proteste der Aktionäre geben, die Dividende ist auf ein Drittel gefallen, das ist, was für die Kleinaktionäre zählt. Ich bin gespannt, ob der Investor aus Abu Dhabi kommt.
Wegen seines Einstiegs wird die Veranstaltung mehr Leute anziehen als sonst. Wir haben es mit totalem Theater in der Bauhaus-Tradition zu tun - alle Zuschauer sind zugleich Teilhaber, weil sie Aktien besitzen.
Theater ist symbolisches Handeln - hier agieren keine Schauspieler, die vorgeben, jemand anderer zu sein - oder womöglich doch?
Kaegi: Wenn man sich auf der Daimler-Homepage das Video von Dieter Zetsches letztjähriger Ansprache ansieht, kann man den Bogen schlagen: Darin spricht der Vorstandsvorsitzende von Zuversicht und Hoffnung. Aber die Aktie hat sich nicht so entwickelt. Zetsche hat also mehr vorgegeben, als er einlösen konnte.
Sie wollen Sichtweisen verändern - wie wird sich das Theaterprojekt auf die Hauptversammlung auswirken?
Kaegi: Es ist hier wie bei der Teilchenphysik: Schon Beobachten verändert den Versuch. Wir wollen für den Tag einen Rahmen setzen: Jeder von uns hat einen Leseapparat im Kopf, was Theater ist. Ob toll gespielt wird, mit wem man sich identifizieren kann. Dieser Apparat trifft auf die gesetzlich und unternehmerisch vorgegebene Situation. Keine Ahnung, was passiert.
Wie läuft die Inszenierung?
Kaegi: Der Tag hat etwas von einer Installation. Obwohl es einen klassischen Zuschauerraum mit Guckkastenbühne gibt. Man kommt wie man will. Früher waren die letzten Akte nicht mehr so publikumswirksam, wenn das Büfett aufgegessen war. Im fünften Akt wird die Entlastung des Vorstands erwartet, das kann aber spannend werden.
Wie greifen Sie ein?
Kaegi: Wir peppen den vierten Akt auf. Besucher können eine Aktionärin treffen, die viel verloren hat, oder den Notar von den kritischen Aktionären. Das ist eine Chance, die man weder bei einer Hauptversammlung noch im Theater sonst hat: Akteure während der Aufführung treffen. Was ist das Theatrale an einer Aktionärsversammlung?
Kaegi: Das Bühnenbild ist aufwändig und teuer. Sehr edel, tolles Licht, tolle Farben. Früher hatten die nur so ein Fernsehblau.
Und in Bezug auf den Inhalt?
Kaegi: Theater ist immer Austragungsort von Machtfragen. Eine Aktionärsversammlung räumt die Möglichkeit ein, dass jeder Fragen stellen kann. Dieser demokratische Ansatz löst sich aber nicht ein. Die meisten, die etwas sagen, halten fünf bis 100 Aktien, ihr Einfluss ist verschwindend. Das ist wie auf einem Parteikongress in China, wo jeder kleine Bauer mal das Mikro kriegt.
Anrührend.
Was passiert am Ende?
Kaegi: Es wird sicher Applaus geben, wenn der Vorstand entlastet ist. Und das wird ihn genauso entlasten wie einen Schauspieler nach einem normalen Stück auch.
Auf welche Reaktionen sind Sie bei Daimler gestoßen?
Kaegi: Anfangs war Verunsicherung zu spüren - wir wurden etwa gefragt, ob wir Terroristen reinbringen würden.
Ihr Konzept, so genannte Experten des Alltags zu Akteuren Ihrer Theaterprojekte zu machen, ist umstritten. Kritiker sagen, das sei der Ausverkauf der Kunst, des Gestalteten ...
Kaegi: Dass die Genies abgeschafft würden? Dass sich keine Balletttänzer auf Zehen vor mir abmühen? Danach sehne ich mich nicht. Theater ist Hochleistungssport geworden, aber es spricht sich rum, dass Kunst nicht von Können kommt. Nichts gegen Virtuosität, aber Kunst soll uns helfen, einen klaren Blick auf die Realität zu werfen. Der war lang versperrt durch verengte Zugangswege zum Theaterberuf. Wie in der Bildenden Kunst, wo man früher dachte, nur wer Aktzeichnen und Stillleben gelernt hat, darf als Künstler etwas zu sagen haben.