Rollende Köpfe

FESTWOCHEN-FINALE. Lähmend: Die Griechen-Saga „Ich sterbe als Land“, recht schlau-gut: „Rimini Protokoll“.

Von BARBARA PETSCH

16.06.2008 / Die Presse

Die Festwochen werfen sich zum Finale auf die alten Griechen. In Zeiten, da die Schule zunehmend auf den Beruf vorbereitet und weniger der klassischen Bildung dient, muss dem Kulturkonsumenten mit Aktualisierungen auf die Sprünge geholfen werden.
Das kann peinlich sein, aber auch witzig. Wie etwa bei „Breaking News“. Die Kult-Truppe „Rimini Protokoll“, die durch die Lande tingelt und serienweise ihre bunten Erkundungstouren der Wirklichkeit variiert, verwendet die CNN-Signation, um hinter die Kulissen der Nachrichten-Maschinerie zu blicken: Wer informiert wann worüber, wie und warum. Das ist heute mindestens so wichtig wie das gute alte „Wer, wann, wo“, das den Journalisten einst als Grundregel des Berufs eingebläut wurde – der viel komplexer geworden ist mit seinen vielen konkurrierenden Interessen, disparaten Interessenten. „Breaking News“ ist aber nicht nur Media-Show, sondern auch eine hübsche Ausgabe des modischen Testimonial-Theaters: Gewöhnliche Leute erzählen aus ihrem Leben, diesfalls Journalisten.
Andreas Osterhaus, ein Deutscher, der bei der Agence France Presse arbeitet, moderiert die Kollegen. Da ist die Hindi-Frau, die es aus einem winzigen nordindischen Dorf ohne Strom und TV erst nach Bombay und dann nach Berlin verschlagen hat (Sushila Sharma-Haque), der skurrile Isländer Simon Birgisson oder der nachdenkliche Afrika-Spezialist Hans Hübner. Er war früher Theaterkritiker und legt „Die Perser“ von Aischylos als Folie über die News, im konkreten Fall über die haltlosen Legenden um die katastrophale Intervention der US-Truppen in Mogadischu 1993. Als Beckmesser steht Medien-Kritiker Walter van Rossum anmutig auf dem Kopf und zerpflückt selbst dann noch bissig-flüssig Sonderbarkeiten des medialen Metiers. Zwei Stunden dauert die gut gemachte Performance. Mit so einfachen Ideen kann man Kult werden.
Eine eher schreckliche Prüfung wollte tags zuvor bestanden sein. „Ich sterbe als Land“ von Dimitris Dimitriadis aus dem Jahr 1978 in einer aufwendigen Inszenierung von Michael Marmarinos. Das Stück resümiert den langen und blutigen Weg Griechenlands nach fast 400 Jahren türkischer Besatzung in die Selbstbestimmung. 1978 sah es da noch düsterer aus als heute – wiewohl Kolonisierung, Verlust der Identität ein Thema bleiben für die Griechen in Zeiten der Globalisierung und des blühenden Tourismus. 120 Menschen rücken in einer endlosen Reihe vor und klagen an, häufig in epischen, statischen Frontal-Vorträgen.

Grausamkeit ohne Katharsis
Eine unvorstellbare Grausamkeit (rollende Babyköpfe) jagt die andere. Dimitriadis hat sich bei seinen berühmten Vorfahren bedient, die aber stets auch Geschichten lieferten – hier liest man die Geschichte besser vorher im Internet-Lexikon Wikipedia nach.
Es ist erstaunlich, wie wenig Wirkung ein derart brachial dramatischer Text über reale Vorgänge erzielt. Wahrheiten als solches sind eben noch keine Basis für gute Kunst. Gut vorstellbar, dass diese Aufführung in einer Athener Fabrikshalle vor Kennern der Lage, eine ähnlich grandios archaische Wirkung entfaltet wie Ariane Mnouchkines Atriden-Zyklus. Im MQ wirkt das Ganze billig missionarisch, bemüht und lähmend. Selten so mit dem Schlaf gekämpft bei diesen Festwochen mit erheblichen Fallhöhen.


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