Repräsentatives Milchgesicht

Die Gruppe Rimini Protokoll forschte im HAU 2 nach Gegenwarts-Wallensteinen

Von Doris Meierhenrich

01.11.2005 / Berliner Zeitung

In den hinteren Reihen des HAU2 wird gejubelt. Im vierten Jahr ihres Erfolgs scheint sich ein Fanclub um das Regietrio Rimini Protokoll gebildet zu haben, dem das unterkühlte Recherche-Theater gehörig einheizt. Rimini Protokoll zeigt in dokumentarischen Laienarrangements Menschen, die in möglichst sachlicher Vortragsmanier und mit ausgesucht förmlicher Sprache eigene Lebensabschnittsberichte von sich geben. Mit ihren "sozialen Skulpturen" oder "Lectureperformances" schaffen es Rimini Protokoll immer wieder, inszeniertes Leben und lebendes Theater gegenseitig in Revision zu nehmen.

Im Schiller-Jahr nun haben sie für das Mannheimer Theater den "Wallenstein" wieder gelesen und sich dann in der gegenwärtigen Republik nach seinen Nachfolgern umgesehen. Zwei US-Soldaten erzählen von Vietnam und verwandeln Wallensteins in Nixons Lager, ein zu DDR-Zeiten in die Bredouille geratener Weimarer Polizeibeamte verrät Parallelen zu Max und Octavio Piccolomini, die Betreiberin einer "Seitensprungagentur" hat Züge von Gräfin Terzky, und Wallenstein selbst muss seine Rest-Identität in dem gescheiterten Mannheimer CDU-Bürgermeisterkandidat Dr. Otto finden.

"Den Fall einer Tragödie" könnte man diesen Rimini-Wallenstein auch nennen. In Schillers "Dramatischem Gedicht" vom Feldherrn im Dreißigjährigen Krieg ging es um einen höchst verwickelten Verrat, um Selbstdenken und Nachfolgen, Eigenständigkeit und Treue. Und weil alles aufs Engste miteinander verquirlt ist, verfängt sich der übermütige Fürst in diesem "Doppelsinn des Lebens". "Alles ist Partei und nirgends/ Kein Richter!" ruft er noch kurz vor seinem Fall.

Konfliktlösungsalternative

Zwar gibt es einen Schiedsrichter, doch hat er nichts zu pfeifen. Stattdessen deklamiert er Schiller-Verse, denn ein anderer Experte erklärt von der Videoleinwand herab die moderne Konfliktlösungsstrategie: Nicht um jeden Preis entscheiden, sondern Alternativen suchen, das ist leadership.

Und so filetieren auch Rimini Protokoll genüsslich undramatisch in Sushi-Häppchen, was Schiller einst noch unauflösbar ins Entweder-Oder stürzte. Sie klappen die alte Katastrophe auf ein Tablett und präsentieren die Splitter. Herr Dr. Otto ist das repräsentative Milchgesicht dafür, das sich einen Wahlkampf lang zum Affen macht und danach sofort geschasst wird. Hinten leuchten Dias des Hoffnungsträgers, vorne erklärt er selbst, wie die Fotomontagen für seine Plakate zu Stande kamen: Erst Kopf, dann Rumpf, dann schiebt der Computer beides zusammen: Die Alternative.

 

 

 


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