Von Katrin Pauly
27.10.2004 / Morgenpost
Die Familie breitet großzügig ihre Arme aus. Wer bei der staatlichen belgischen Fluglinie Sabena seinen Job antrat, bekam Gemeinschaftssinn schon im "Welcome"-Seminar eingetrichtert. "With Sabena you're in good Hands", lautete der Slogan. Im Gegenzug waren die derart aufgehobenen Angestellten gern bereit, im Chor skandierend zu versprechen: "To all clients I give a smile." Das Lachen ist ihnen seit dem 7. November 2001 vergangen. Der Bankrott der Airline machte auf einen Schlag 12 000 Magnetkarten ungültig und die Menschen, denen sie gehörten, überflüssig. Einziger Kommentar der Konzernleitung: "Geht nach Hause und verfolgt die Nachrichten."
Nach einem Flugzeugabsturz werden die Wrackteile gründlich untersucht. Das Regie-Kollektiv "Rimini Protokoll" geht in seinem Stück "Sabenation", das noch bis Sonnabend im HAU 2 zu sehen ist, ähnlich vor mit dem, was von Sabena übrig geblieben ist. Sechs echte Ex-Sabenians hat die dem Doku-Theater verpflichtete Gruppe dafür ausgegraben. Die Ex-Stewardeß Myriam Reitanos zum Beispiel, die am Tag nach dem Crash auf den Titelseiten der Zeitungen zu sehen war. Wie sollte sie, aus dem Schoß der Sabena-Familie gefallen, jetzt ihre kleine Adoptivtochter durchbringen? Heute steht die kleine Deborah mit auf der Bühne. Dann ist da noch Jean, der zusammen mit dem Ex-Sicherheitschef aus Salatgurken kleine Flugzeugmodelle schnitzt und inzwischen in einer Pharmafirma Antidepressiva verpackt. Der Mann vom Catering tritt heute als lebensgroßes Plüschtier vor dem Brüsseler Atomium auf und Peter, der Pilot, wird am Ende noch sein Modellflugzeug über dem Publikum kreisen lassen.
Zweieinhalb Jahre nach dem Konkurs versammeln sie sich hier zu einem letzten Start. Auf der Bühne: Ein paar Flugzeugsitze, ein großer Container. Dazwischen: Einzelschicksale. Geschickt verwebt Rimini-Protokoll Biografisches mit Allgemeinem, kurze Videoeinspieler montieren die Fakten zu den Gefühlen. Auf dem Boden entsteht aus Klebe- und Leuchtstreifen eine Landebahn. Für kurze Zeit haben sie wieder den gewohnten Boden unter den Füßen. Dann aber krachen Tausende Pingpong-Bälle (die Sabena-Tischtennis-Mannschaft war sehr erfolgreich) in die Kulisse. Futsch ist die Bodenhaftung.
Was den Laiendarstellern auf der Bühne gelingt, ist, trotz einiger dramaturgischer Längen, ebenso einfach wie sensationell: Sie sind absolut authentisch, gar nicht weinerlich und höchst sympathisch. Sie sind, was sie sind, weil sie gern wären, was sie mal waren. Und werden dabei doch keine Sekunde vorgeführt. Eine auf den Punkt inszenierte Bruchlandung menschlicher Schicksale.
Bis Sonnabend im HAU 2, Hallesches Ufer 32, jeweils 20 Uhr. Tel.: 25 90 04 49
Berliner Morgenpost, vom: 27.10.2004
URL: http://morgenpost.berlin1.de/archiv2004/041027/feuilleton/story712159.html
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