Politisches Nachspiel

Von Andreas Schmitz

27.06.2002 / neue musikzeitung/KIZ Kulturinformationszentrum/Deutscher Kulturrat

«Ich glaub', ich bin von der Rolle» - 237 Bürger spielen in Bonn live und synchron eine Bundestagsdebatte aus dem Reichstag nach



Bonn (ddp). Der Bundestag ist am Donnerstag zu einem «Gastspiel» nach Bonn zurückgekehrt. Allerdings nur für einen Tag und in einem Theaterprojekt mit Laiendarstellern - und auch nicht im ehemaligen Plenarsaal. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hatte bis zuletzt keine Genehmigung dazu erteilt, dass die Reden der Volksvertreter von den Darstellern synchron zur laufenden Debatte aus dem Reichstag nachgesprochen werden.



Karlheinz Schmitt, langjähriger Platzmeister und damit Chef der Saaldiener im Bundestag, hält die Begründung der Absage für nicht besonders stichhaltig. «Von einem solchen Kunstprojekt kann die Würde des Bundestages nicht beeinträchtigt sein», sagt Schmitt beim Besuch der Inszenierung in den Theaterhallen Beuel. Mit einem bedeutungsvollen Schmunzeln fügt der 73-Jährige hinzu, dass er während seiner Dienstzeit ganz andere Dinge im Hohen Haus erlebt habe.



«Deutschland 2» ist das politisch wohl ehrgeizigste Stück des Festivals «Theater der Welt», das noch bis zum Sonntag in vier rheinischen Städten unkonventionelle Theaterprojekte in Szene setzt. Die vier jungen Regisseure vom «Rimini Protokoll» haben seit Anfang des Jahres daran gearbeitet, die komplette Bundestagssitzung im Reichstag zu kopieren. Die Debatte wird live über Kopfhörer souffliert. Das Stück lebt von der Idee, Repräsentanten des deutschen Volkes von Bürgern vertreten zu lassen, erzählt Miterfinderin Helgard Haug.



Während Schmitt in der Bonner Lobby noch ein paar Anekdoten mit ehemaligen MdB`s erzählt, bemüht sich Darsteller Georg Reeps im Plenum derweil konzentriert und angestrengt, die laufende Regierungserklärung von Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) zu Gehör zu bringen. Zwar bietet der prononciert und gar nicht so schnell sprechende Minister eine ideale Vorlage für die Synchronwiedergabe. Doch die gelegentlich versagende Technik und eine aufkommende Nervosität lassen es nicht zu, dass der ehemaligen Offizier auch nur einen vollständigen Satz des SPD-Politikers formulieren kann. Nach zwei endlos langen Minuten gibt Reeps auf: «Entschuldigung, ich bin total von der Rolle.» Auch die Mehrzahl der 237 spielenden Bürgerinnen und Bürger hätte sich die Aufgabe der bloßen Sprachwiedergabe nicht so schwer vorgestellt.



Oft kommen nur Bruchstücke, bekannte Politiker-Floskeln und Worthülsen über die Rampe. Sätze wie: «Das sollte aber, ..... meine Damen und Herren, .... untereinander klären, ..... und weil sich dazu gar nicht berechtigt sind ....», wie sie von der Studentin Tomke Hammes vorgetragen werden, erhalten von der Oppositionsfraktion im Theatersaal gleichwohl zustimmenden und solidarischen Applaus. Alle fünf Minuten wechseln sich die Sprecher ab, das Berliner Original wird bei einer langen Rede also gleich mehrfach gedoubelt.



Unter den Vertretern der Volksvertreter finden sich aber auch echte Rhetorik-Talente. Alex Braun, ein 52-Jähriger Elektriker, nutzt das Rednerpult, um der Bundesregierung engagiert, flüssig und energisch gestikulierend mal ordentlich die Meinung zu sagen. Der Dürener mit Rauschebart entschloss sich weniger aus politischer Überzeugung, sondern eher aus optischen Gründen, den CSU-Abgeordneten Herbert Frankenhauser zu vertreten, wie er berichtet.



Nicht verwunderlich ist, dass sich für den Part besonders prominenter Politiker bisweilen mehrere Laiendarsteller beworben haben. So sitzen gleich vier Gerhard Schröders in dem spartanisch eingerichteten Bonner Ersatzparlament, obwohl der Bundeskanzler gar nicht im Reichstag sitzt, sondern in Kanada weilt.



Bis zum Ende der Tagesordnung im Reichstag wollen das Rimini-Protokoll und die Ersatzabgeordneten durchhalten - einschließlich Aktueller Stunde und aller anstehenden Abstimmungen. Die Hoffnung, tatsächlich einmal im ehemaligen Bonner Plenarsaal auftreten zu können, hat Regisseurin Haug noch nicht aufgegeben.

Andreas Schmitz



Dieser Artikel stammt von Kulturinformationszentrum des Deutschen Kulturrates und der ConBrio Verlagsgesellschaft


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Deutschland 2 (Theater)