Von Gerhard Stadelmeier
14.03.2002 / Frankfurter Allgemeine Zeitung
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat sich um das deutsche Theater und insbesondere um ein deutsches Theaterfestival verdient gemacht, als er sich jetzt gegen eine geplante Inszenierung im früheren Plenarsaal des Bundestages in Bonn aussprach: Durch "den speziellen Programmablauf des Projekts" würden das "Ansehen und die Würde des Deutschen Bundestages beeinträchtigt". Während des Festivals "Theater der Welt 2002" nämlich wollte ein Regieteam Ende Juni eine Bundestagssitzung aus Berlin von Laiendarstellern zeitgleich im ehemaligen Bonner Plenarsaal nachspielen lassen. Der Bundestagspräsident ist ja hie und da durchaus bei Theaterpremieren nicht nur in Berlin zu sehen. Immer aber fällt auf, daß er sich streng guckend am Ende jedweder Beifallsbezeugungen enthält: sei es aus grundsätzlichen Neutralitätserwägungen heraus, auf die ihn sein Amt schon temperamentsmäßig verpflichtet; sei es aber auch deswegen, weil er nicht Veranstaltungen applaudieren mag, von denen er glaubt, daß sie womöglich kein besseres Theater bieten als das Haus, dem er regie- und regelmäßig präsidiert. Insofern ortet der Bundestagspräsident womöglich das erste Theater der Republik im shakespearischen Sinne einer absoluten Dominanz des schönen rhetorischen Scheins vor allem häßlichen politischen Sein jedenfalls dort, wo viele es sowieso vermuten: nämlich im Bundestag. Umgekehrt wiederum stellte es den Verantwortlichen des Festivals "Theater der Welt" ein denkbar schlechtes Zeugnis aus, wenn ihnen weiter nichts einfiele, als den Berliner Bundestag einfach eins zu eins abzubilden - und dann auch noch in Bonn und mit Laienspielern. Es scheint da nicht der Wille zur gesteigerten, ja über-, gar verstiegenen Wirklichkeit, sondern die theatralische Kapitulation vor der reinen Wirklichkeit (und sei diese noch so theatralisch) in der Luft zu liegen. Insofern also hat der Bundestagspräsident dem Festival "Theater der Welt", das vom 21. bis zum 30. Juni in Bonn, Düsseldorf, Duisburg und Köln stattfindet, recht eigentlich noch rechtzeitig Gutes getan, als er schon Ende Februar in einem Brief an Bonns Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann Widerspruch gegen die laienhafte Nachinszenierung einlegte. Wir können das voll und ganz ohne Gegenstimme und bei keinerlei Enthaltung billigen.
G.St.