Von Simone von Buren
02.06.2006 / Basler Zeitung
Zwei bewegend-bewegte Reisen, ein Ziel: Die faszinierende Welt der Lastwagenfahrer.
Die beiden Bulgaren Ventzislav Borissov und Svetoslav Michev haben schon alles Mögliche transportiert. Doch ihre heutige Lastwagenladung ist ungewohnt: 50 Zuschauer und Zuschauerinnen im umfunktionierten Lastwagen mit Spiegelglas-Seite und einrollbarer Leinwand.
Im bewegend-bewegten Theaterprojekt «Cargo Sofia-Basel» des Schweizer Regisseurs Stefan Kaegi finden zwei Reisen parallel statt: eine viertägige von Sofia über Serbien, Kroatien, Italien in die Schweiz und eine zweistündige durch das Niemandsland der Zollämter, Warenlager und Parkplätze in der Agglomeration Basel. Die Übergänge zwischen den Reisen sind faszinierend fliessend. Man sieht auf Video (Jürg Karrenbauer) einen Tunnel in Sofia, die Leinwand wird hochgezogen und man fährt durch einen Basler Tunnel. Oder der Texteinblender informiert «Grenze Serbien/Kroatien. 10 Stunden Stau» und der mobile Zuschauerraum hält beim alten Zollamt.
DOSENNAHRUNG.
Die Fahrer kommentieren beide Reisen über Mikrofon aus der Kabine - spontan, mit Kaugummi und Zigarette. Zwischendurch werden sie zu östlicher Volksmusik live auf die Leinwand projiziert und erzählen vom Kollegen, der im Iran gegen ein «Playboy»-Heft einen Tank Diesel bekam, oder der Dosennahrung, die sie auf ihre Fahrten mitnehmen, da das Essen in Westeuropa für ihren 500-Euro-Monatslohn zu teuer ist.
Auf dem Parkplatz beim Export richten sich Fahrer aus der ganzen Welt für die Nacht ein: wärmen sich auf Gaskochern das Essen, telefonieren, schlafen. Die Kabine ist ihr Zuhause: Bett, Radio, Pin-up-Girl. «Das ist ein Theater!» ruft Borrisov im Vorbeifahren einem verdutzten Kollegen zu. Unterwegs begegnet das Cargo-Theater dem pensionierten Zöllner Fritz Kuster, der souverän die Zollabläufe im Warenverkehr schildert.
SMALLTALK.
Wie zufällig taucht immer wieder eine junge Frau (Beren Tuna) auf - poetisch-romantisches Element in der abgebrühten Männerwelt. Erst erkennt man sie gar nicht als inszenierten Teil des Abends. Später singt sie auf einem leeren Parkplatz oder tanzt - im lustigsten Moment der dramaturgisch perfekt durchdachten (Dramaturgie: Andrea Schwieter) und brillant umgesetzten
Uraufführung - in einem Kreisel, zur Verwirrung der uneingeweihten Autofahrer.
Überhaupt spielen viele in diesem beeindruckenden Projekt mit, ohne es zu wissen. Denn vor dem Hintergrund der skurrilen Einsprengsel wird plötzlich alles bedeutsam: Passanten, Schriftzüge, der einzelne blaue SBB-Cargo-Wagen. Unvermittelt schleichen sich Sehnsucht, Einsamkeit und die heimliche Poesie des Niemandslands der Autobahnen und Grenzübergänge in den Basler Abendverkehr und den lockeren Smalltalk der Fahrer.