Von Tobias Becker
01.02.2009 / Kultur Spiegel
Planungsphase
Die Inszenierung
Am 8. April werden Vorstand und Aufsichtsrat der Daimler AG die Bühne im Internationalen Congress Centrum Berlin betreten, im Saal etwa 8000 Aktionäre und Aktionärsvertreter. Auf dem Programm steht die jährliche auptversammlung. Wie diese in den meisten Unternehmen inszeniert wird, hat die Theaterwissenschaftlerin Brigitte Biehl in ihrem Buch „Business ist Showbusiness“ beschrieben: Vorstand und Aufsichtsrat nehmen auf einem abgeschirmten Podium Platz, hinter sich eine kinogroße Leinwand, vor sich riesige Namensschilder.
Ihre Reden sind von PR-Strategen ausbaldowert, das Frage-und-Antwort-Spiel mit dem Publikum ist ritualisiert.
Hinter den Kulissen wuseln Mitarbeiter umher,um den Vorständen passende Antworten zuzuspielen.
Das Projekt
Hauptversammlungen seien „eine Inszenierung von Macht“, sagt Helgard Haug,Mitglied des Theaterkollektivs Rimini Protokoll, und verweist auf Biehls Untersuchung: „Es wird geprobt, es gibt ganz klare Rollen, es ist ein Schauspiel.“ Rimini Protokoll plant daher ein Projekt zur Daimler-Hauptversammlung:„Wir zecken uns da ran, als parasitäres Theater.“ Normalerweise holt die Gruppe Laien als Experten des Alltags auf die Bühne, diesmal will sie die Zuschauer in die Welt der Experten bringen. Und das geht so: Jeder Aktionär bekommt eine Einladung, die er selbst wahrnehmen kann, aber auch an irgendjemanden weiterleiten – etwa an Rimini Protokoll. 200 Einladungen will die Gruppe so sammeln – und dann an Theaterfans verteilen.
Die Strategie
Bis zum 20. Februar können Interessenten sich per Mail unter hv@rimini-protokoll.de anmelden.
Mit etwas Glück ergattern sie eine der Einladungen und als Dreingabe ein Buch mit einem von Rimini Protokoll verfassten Theaterstück, in dem sich Vorstände, Aufsichtsräte, Aktionäre, Störenfriede und Saaldiener tummeln. Das Stück, so Haug,„zimmert den Rahmen unserer Aktion“. Es soll die Zuschauer darauf einstimmen, die Hauptversammlung als Inszenierung, als Theateraufführung des Kapitalismus zu begreifen.
Das Ziel
Rimini Protokoll will das Aktionärstreffen als Bühnenstück entlarven, die Bühne aber nicht stürmen:
„Wir werden keine Tomaten werfen und keine Tischbeineansägen – also nicht faktisch, gedanklich schon“, sagt Haug. Wenn die 7800 normalen Teilnehmer durch Pressevorberichte erfahren,dass 200 Theatergäste unter ihnen sind, dürfte das auch ihre Wahrnehmung verändern: Im Idealfall fühlen sie sich wie Figuren in einem Stück.„Es ist ein gedankliches Experiment.“ TOBIAS BECKER