Von Matthias Kaufmann
08.04.2009 / manager-magazin.de
Die Öko-Welle verschlafen, die Absatzkrise unterschätzt, die Abu-Dhabi-Beteiligung verscherbelt: Daimler-Chef Dieter Zetsche muss auf der Hauptversammlung viel Kritik einstecken. Für den größten Ärger sorgt sein Sparprogramm zulasten der Mitarbeiter - sogar bei Investoren, die sich sonst über diese Art Sparsamkeit freuen.
Berlin - Eine Hauptversammlung als Theaterstück - bei Daimler hatte man Sorge, wie sich das entwickeln würde. Spontanauftritte? Protestierende Nackedeis? Die Künstlergruppe "Rimini Protokoll" hatte 200 der versammelten 6600 Aktionäre eingeladen, die Hauptversammlung des Daimler-Konzerns als Theaterstück zu genießen. Das sei aber mehr ein Gedankenexperiment, versicherten die Künstler im Vorfeld: Die Inszenierung erledigt Daimler, das Theater entsteht im Kopf des Betrachters. Wie auch sonst in Schauspielhäusern, wolle man die Inszenierung nicht stören.
Manchem Daimler-Verantwortlichen ging die Ankündigung dennoch durch den Kopf, als die ersten Zwischenrufe fielen. Kommt es nun doch zum Eklat? Was mag noch geplant sein? Die Stimmung war angespannt. Der Tag hätte ein PR-Albtraum werden können.
Denn die gebotene Show ging weit über die üblichen Hauptversammlungsfreuden hinaus. Keine halbe Stunde war vergangen, da schallten empörte Rufe vom rechten Rang. Manfred Bischoff, der Chef des Daimler-Aufsichtsrats, hatte die Hauptversammlung eröffnet und das Publikum begrüßt. Einen Moment lang wollte er, "angesichts der öffentlichen Diskussionen der vergangenen Wochen", auf das Thema Vorstandsvergütung eingehen: "Schon jetzt entspricht unsere Vorstandsvergütung den Regulierungsplänen, die in der Regierungskoalition diskutiert werden."
"Stimmt nicht! Lüge!" ruft da ein Mann mit Baseballkappe, vom linken Rang aus applaudieren Einzelne. Bischoff ignoriert den Einwand. Wenig später: Auftritt Dieter Zetsche, der jovial und freundlich auftretende Konzernchef. Die Hauptfigur in diesem Spiel, muss er doch seinen Großkonzern in schwierigen Zeiten auf Kurs halten.
Er weiß um die Schwäche seiner Firma, und muss sie in den folgenden Minuten ansprechen: 25 Prozent weniger verkaufte Mercedes-Benz im Geschäftsjahr 2008, das tut weh. Und es wäre noch schlimmer, hätte Daimler in der ersten Jahreshälfte nicht so gut verkauft. Hier und da wirft der Zwischenrufer Kommentare ein, man versteht sie kaum, niemand nimmt das ernst. Der Narr klimpert durch die Kulisse.
Die Gewerkschaften demonstrieren vor dem Kongresszentrum ICC: "Wir zahlen nicht für eure Krise." Einschnitte könnten ja durchaus nötig sein, sagt ein Demonstrant: "Aber doch nicht, um damit die Dividende zu bezahlen." Kritische Aktionäre haben im Vorfeld vorgerechnet, allein mit der Deckelung der Vorstandsgehälter, dem Ausstieg aus der Formel 1 und nicht zuletzt durch einen Verzicht auf eine Dividendenzahlung ließe sich eine Milliarde Euro sparen.
Der Zwischenrufer hat sich warmgelaufen. Konzernchef Zetsche bleibt noch ruhig, ist er inzwischen doch bei schöneren Zahlen angelangt. "In der Bussparte war es ein hervorragendes Jahr", sagt er, der Zwischenrufer spottet: "Bei Audi auch!" Da wendet sich Zetsche in seine Richtung: "Die bauen relativ wenige Busse." Das Publikum lacht, eine Pointe für den Hauptdarsteller.
Doch der Narr wertet das als seinen Erfolg. Die Gesellschaft auf der Bühne spricht mit ihm, wenn auch widerwillig. Zetsche ist genervt und wendet sich am Rednerpult leicht von dem Störenfried ab. Der lässt keinen Aussagesatz mehr unkommentiert. Zetsche sieht auf der großen Bühne nun sehr klein und verloren aus, dort im Berliner ICC. Im Parkett allerdings, auf den Plätzen der Ehrengäste regt sich Unmut: "Rausschmeißen" raunt eine blondierte ältere Dame, laut genug, dass es ihr schwerhöriger Begleiter auch versteht.
Wenige Zeilen weiter im Redemanuskript muss sich Zetsche schon wieder an den Streithammel wenden: "Sie können Ihre Rede gerne anschließend halten." Doch dann, als Zetsche auf die Sparmaßnahmen bei der Daimler-Belegschaft zu sprechen kommt, lässt der Rufer nicht locker. Zetsche: Man stehe über die Kürzungen in Verhandlungen mit dem Betriebsrat, um bei den Lohnkosten zu sparen. Der Rufer: "Und wer kauft dann die Autos? - Ey, Zetsche! Wer kauft die Autos?"
Nun schreitet Aufsichtsratschef Bischoff ein. Er solle auf die Fragerunde warten, wo der Vorstand den Aktionären Rede und Antwort steht: "Aber sie haben ja offenbar inhaltlich nichts Gescheites beizutragen, sonst würden sie sich auf die Redeliste setzen lassen." Die Aktionäre sind auf Bischoffs Seite. Sie skandieren: "Raus! Raus! Raus!" Und tatsächlich droht Bischoff mit Rausschmiss und wird es noch öfter tun an diesem Tag. Der blondierte Ehrengast im Parkett schwäbelt: "Desch soll a Führungskraft sein? Der soll ihn rausschmeißen!"
Der Narr schadet der eigenen Sache. Denn was er am Daimler-Vorstand kritisiert - Mutlosigkeit in der Krise, Fehlentscheidungen und eine zweifelhafte Moral - tragen andere wenig später am Rednerpult vor. Auch da kräht er dazwischen: "Hört! Hört" und "Jawoll!". Er stört damit sogar die, die seinen Standpunkt stützen.
Die offensichtlichen Schwierigkeiten sprechen viele an, kritische Aktionäre ebenso wie die Vertreter von Investmentgesellschaften - besonders deutlich: Ingo Speich von Union Investment: Warum verbrauchen die Autos von Daimler so viel? Warum steigt man auf den Trend sparsamer Autos so spät ein, statt ihn - wie BMW - selbst zu setzen? Die Antworten des Vorstands fallen wenig befriedigend aus. Dass der Entwicklungsstand doch gut sei. Dass bald noch mehr komme. Und dass man viel in die Entwicklung von Batterie und Brennstoffzelle stecke.
Ebenso offensichtlich: Wie kann es sein, dass der Vorstand in dieser Situation überhaupt Boni einstreicht? Die gewinnabhängigen Anteile sind laut Bischoff schon um 90 Prozent gefallen. Aktionärsvertreter Hans-Martin Buhlmann hakt nach: "Wie kann es sein, dass Sie erst Ihre Prämien einstreichen und dann den Mitarbeitern so drastische Sparmaßnahmen abringen wollen?" Die Sparentscheidung sei schlicht später gefallen, erklärt Bischoff und versichert, der Vorstand werde auf diese Debatte noch reagieren. Das klingt wie die Ankündigung eines teilweisen Gehaltsverzichts.
Auch der Einstieg des Emirats Abu Dhabi ist ein Thema: "Herzlich willkommen," ruft Lars Labriga von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger den Investoren zu und setzt nach: "Wäre schön, wenn Sie mehr bezahlt hätten." Der Einstiegspreis ist zu günstig, kritisieren viele, mit einem Abschlag von 5 Prozent auf den Börsenkurs. Dieter Zetsche sieht das erwartungsgemäß anders: "Abschläge in dieser Höhe sind üblich", findet er, verglichen mit ähnlichen Transaktionen sei das ein guter Preis.
Besonders hoch schlagen die Wogen nochmals, als es um die Situation der Auszubildenden im Konzern geht. Auch die haben vor den Toren des ICC demonstriert, weil sie um ihre Übernahme fürchten müssen: 20 Prozent der Azubis sollen Daimler nach der Lehre wieder verlassen. Das, obwohl sie bereits einen Stundenverzicht ohne Lohnausgleich angeboten haben, um alle Kollegen halten zu können. "Ich glaube nicht, das an diesen Personalkosten das Überleben des Konzerns hängt", sagt Alexander Dauensteiner vom Dachverband Kritischer Aktionäre - genügend Nachwuchskräften für die die langfristige Zukunft des Konzerns dagegen schon.
Eine Schwäche hat die Inszenierung einer Hauptversammlung letztlich doch. Die endlosen Fragerunden laufen nicht auf einen theatralischen Höhepunkt zu. Eine Katharsis indes, die Wandlung und Einsicht der Hauptfigur, könnte ein wohlwollender Beobachter allerdings tatsächlich erkennen, mitten in der Aufführung. Da nämlich wird Dieter Zetsche zur Rede gestellt, warum er nicht früher in der heranbrechenden Krise des Jahres 2008 die Produktion gedrosselt hat. Seine selbstkritische Antwort: "Ja, da haben wir nicht die optimale Bremsspur hingelegt."