Von Max Florian Kühlem
30.11.2010 / Rheinische Post
Den Akteuren von Rimini Protokoll muss man glauben. Die Truppe aus Gießener Theaterwissenschaftlern hat den Reality-Trend im Theater ausgelöst. Sie stellt "Experten des Alltags" auf die Bühne; Menschen in besonderen Situationen, die ihre Geschichte erzählen. In "Herr Dagacar und die goldene Tektonik des Mülls", das als Koproduktion der Kulturhauptstädte Istanbul 2010 und Ruhr 2010 entstand, sind es Müllsammler aus Istanbul.
Ein wenig nervös sind sie im Essener Bühnenraum von Pact Zollverein, das ist den vieren deutlich anzumerken. Die eigene Geschichte sprechen sie manchmal etwas hölzern als Fremdtext, wie sie ihn mit den Theatermachern Helgard Haug und Daniel Wetzel erarbeitet haben. Sie erzählen vom Leben im ostanatolischen Dorf, aus dem sie alle stammen, von der beschwerlichen Busfahrt nach Istanbul, die sie immer wieder auf sich nehmen, um in den besseren Vierteln den Müll nach Verwertbarem zu durchsuchen. Nach Altpapier, Plastik, Eisen, Flaschen. Im weitläufigen Bühnenraum spielen sie die Spiele, die sie im Dorf oder in ihren Behausungen im Istanbuler Stadtteil Tarlabagi spielen. Auf den Wänden der großen Müllwagen flimmern Bilder aus dem Alltag im Müll-Depot. So ergibt sich ein raffiniert inszenierter Doku-Theaterabend, der seine Mittel ausschließlich aus der Realität beschafft. Großer Jubel.
Quelle: Rheinische Post, Kultur, 30.11.2010