Von FAZ
04.06.2007 / Frankfurter Allgemeine Zeitung
Um ein Drama handelt es sich, auch bei sehr weiter Auslegung des Begriffs, nicht, doch wurde „Karl Marx: Das Kapital, Erster Band“ der renommierteste deutsche Dramatikerpreis zuteil: Mit ihrer szenischen Einrichtung des gesellschaftstheoretischen Klassikers gewannen Helgard Haug & Daniel Wetzel/Rimini Protokoll den Wettbewerb der Mülheimer Theatertage 2007. Die Entscheidung fiel nach ausführlicher öffentlicher Diskussion am frühen Sonntagmorgen denkbar knapp aus: Drei der fünf Juroren votierten für das dramaturgisch gebaute Szenenpatchwork, in dem acht Laien, „Experten des Alltags“, wie die Regisseure sie nennen, ihre Lebens- und Lesegeschichten mit dem „blauen Band“ erzählen. Dass sich das Nicht-Drama gegen sieben Konkurrenten, darunter Stücke von Lukas Bärfuss, Martin Heckmanns und Elfriede Jelinek, durchsetzen konnte, potenziert die Fragwürdigkeit des Auswahlgremiums: An die Biographien der Darsteller gebunden, hat die ganz amüsante Performance, eine Koproduktion von Hebbel am Ufer, Düsseldorfer Schauspielhaus, Schauspiel Frankfurt und Schauspielhaus Zürich, keinen Text zur Grundlage, der nachgespielt werden kann. So schwächen die Mülheimer Theatertage, bis vorgestern das wichtigste Forum für neue deutsche Stücke, dessen Auszeichnung mit 15 000 Euro dotiert ist, ihren Anspruch. Eine Selbstdemontage.