Von Patrick Wildermann
22.03.2019 / tagesspiegel.de
„Warum lächelt ihr so glückselig, wenn ihr uns ‚Sozialismus’ sagen hört? Weil ihr eure aufgegebenen Ideale auf eine tropische Insel projiziert? Ist es das, was hier gerade abgeht?“ Gute Fragen. Die junge kubanische Historikerin Milagro Álvarez Leliebre weiß um den klischeebehangenen Wohlfühl-Appeal, den ihre Heimat auf Westler ausübt. „Revolution“ ist für die meisten von ihnen eine romantisierte Folklore-Vokabel. Sie schlägt sich in Che-Guevara-Postern oder allenfalls noch in knackigen Zitaten des kubanischen Freiheitskämpfers José Martí nieder. Kuba - das ist „Buena Vista Social Club“, gutes Wetter, Zigarrendunst und der vermeintliche Charme des Verfalls. Die politische Realität hat da kaum Platz.
So ein Erbe öffnet natürlich Türen. Auch der Opa von Christian Paneque Moreda hat Erfahrungen mit dem Widerstand gegen das Batista-Regime gesammelt, später eine Militärkarriere hingelegt (was dem Enkel verwehrt blieb). Dieser Rufino grüßt per Video nach Berlin: „Liebe ausländische Zuschauer, die ihr im Kapitalismus lebt…“.
Unter anderen Voraussetzungen wurde in der vorgeblich klassenlosen Gesellschaft Milagro Álvarez Leliebre von ihrer Großmutter zu einer „standfesten und revolutionstreuen Frau“ erzogen. Mit Ratschlägen wie: „Schließe die Beine und öffne die Arme“. Und: „Lerne fleißig – denn du bist schwarz“. Diana Sainz Mena wiederum ist dem Lebensweg eines Großvaters gefolgt, den sie nie wirklich kennenlernte. Tagsüber rollte der Mann in der Tabakfabrik Zigarren, abends spielte er in der Band Maravillas de Florida, das Wunder aus Florida – der Name eines Dorfes, sechs Stunden von Havanna entfernt.
Unter Leitung von Musikerin Mena hat sich das vierköpfige Ensemble zu einer Mikrobrigade formiert. Eigentlich meint der Begriff eine Gruppe, die ohne Vorwissen mithilfe eines Handwerkers ihr eigenes Haus baut. Hier wird er auf tapfere Autodidakten gemünzt, die sich Posaune-Spielen haben beibringen lassen und Intermezzo-mäßig melancholische Blasmusik performen, während das Stück sich aus den 50er Jahren in die jüngere Vergangenheit vorarbeitet. Rimini-Regisseur Stefan Kaegi verschränkt dazu Aufnahmen aus den privaten Familienalben, historische Filmausschnitte und Gegenwartsimpressionen aus Havanna (projiziert im Rückraum von Aljoscha Begrichs schöner Freiraum-Bühne mit antikem Nähtisch). Schweinebucht, Kuba-Krise, Handelsembargo, Fall der Sowjetunion – all diese politischen Wegmarken werden sinnfällig rückgekoppelt mit dem Generationen-Dialog, der im Zentrum von „Granma“ steht. Frisst die Revolution ihre Enkel? Oder bleibt der Idealismus der Großeltern andockfähig?
Es ist ein starker Rimini-Abend. Er zeigt kubanische Lebensrealität im nostalgisch unbeschlagenen Spiegel der Geschichte – nebst den Verwerfungen von Rassismus, Korruption und privaten Kümmernissen. Dianas Großmutter Teresa etwa war an der Seite eines notorisch untreuen Musikers sicher nicht nur glücklich. Sie bittet ihre Enkelin per Video: „Wenn du deinen Opa darstellst, lass die Sachen weg, die ich an ihm nicht leiden konnte“.