Von Leonie Bartsch
05.03.2018 / Welt
Wir befinden uns auf der Berlin-brandenburgischen Großbaustelle des Flughafens BER. Vor uns steht Alfredo di Mauro, in den Medien bekannt als „Hochstapler vom Berliner Flughafen“. Er hat dort die Entrauchungsanlage geplant. Über den Lärm der Maschinen und Menschen ruft er: „Flughafenchef Mehdorn und die Politiker haben behauptet, ich sei an allem schuld! Die Entrauchungsanlage, die ich geplant habe, funktioniere angeblich nicht“, di Mauro hebt wütend die Faust gen Himmel, „dabei wurde die nie getestet!“
Er fordert uns auf, ihm zu folgen. In einem schmalen Schacht probieren wir die Anlage aus. Kalter Wind bläst uns entgegen. Di Mauro brüllt: „Schauen Sie, sie funktioniert! Sie funktioniert!“
Flughafen zum Selberbauen
Warum ist der Flughafen dann immer noch nicht fertig? Es sollten doch schon 2011 die ersten Passagiere einchecken? Der Richtigkeit halber muss erwähnt werden, dass wir uns nicht tatsächlich auf dem Flughafengelände befinden, auch wenn die Kulisse das zunächst vermuten lässt.
Nein, die vielen Gerüste, Container und Helmträger gehören zur Inszenierung des Regiekollektivs Rimini Protokolle im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Im Rahmen des Vierteilers „Staat 1-4“ machen Helgard Haug, Daniel Wetzel und Stefan Kaegi „Phänomene der Postdemokratie“ erlebbar. An diesem Sonntagabend: den neuen Berliner Problemflughafen als Theater zum Mitmachen.
In Gruppen von 30 Menschen sind wir Teil der Inszenierung und durchwandern verschiedene Szenarien. Mal bauen wir als Bauarbeiter ein Gerüst zusammen, mal planen wir als Architekten in Containermeetings das nächste Projekt. Das Beeindruckende: Die Protagonisten spielen größtenteils sich selbst, und wir Zuschauer schlüpfen in ihren Alltag hinein.
Neben di Mauro ist da beispielsweise Jürgen Mintgens, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, oder Dieter Läpple, Professor für Stadtforschung. Auch die Perspektive einer chinesischen Wanderarbeiterin lernen wir kennen oder die eines rumänischen Schwarzarbeiters.
Man schleust uns durch die riesige Halle, vorbei an großen Sandhaufen und Menschenmassen mit gelben und blauen Helmen. Wir klettern auf ein Gerüst. Um uns herum dröhnt laute Techno-Musik. Von allen Seiten spielen Videos auf Leinwänden. Ein Mann in der Ferne auf einem Kran winkt uns zu. „Sehen Sie mich?“, tönt seine Stimme durch unsere Kopfhörer, „ich bin Andreas Riegel“, er winkt noch einmal.
Im echten Leben
„Ich bin Anwalt geworden in der Hoffnung, einen Beitrag zum Rechtsstaat leisten zu können. Aber vor 13 Jahren habe ich am Trienekens-Müllskandal gearbeitet, in dem Korruption bis in hohe politische Ämter in einem Ausmaß zum Vorschein kam, wie ich es mir in Deutschland bis dahin nicht hätte träumen lassen. Seither bin ich bei Transparency International.“
In „Staat 2“ (so ist diese Performance am Sonntagabend benannt) ist die Korruption, die uns Andreas Riegel vom Kran aus zeigt, nur inszeniert. Im echten Leben wird einem spätestens durch diese Baustellenbesichtigung am eigenen Leib klar, wie viele Partikularinteressen in so einem Projekt aufeinandertreffen.
Da ist natürlich zunächst einmal die Politik, die nach Ansicht der Baufachkundigen zu viel mitentscheidet, obwohl das Ingenieurwesen doch nicht ihre Kernkompetenz ist. Da ist der rumänische Wanderarbeiter, der von seinem Chef nie den vereinbarten Lohn erhalten hat.
Da ist der Professor, der von der „Stadt der Zukunft“ philosophiert. Und da ist schließlich der eingangs zitierte Gebäudetechnikplaner di Mauro, der nach eigenen Angaben von der Politik als Sündenbock missbraucht wurde, der alles verloren hat, sogar sein Haus verkaufen musste.
Dieser Flughafen ist eine Krücke
Vor wenigen Tagen haben die BER-Betreiber die aktuelle Rechnung bekannt gegeben. Sie liegt mittlerweile bei fast 7,3 Milliarden Euro. Genau wie die Kosten steigt auch das Eröffnungsjahr, 2020 wird nun angepeilt. Nach der Vorführung laden die Protagonisten zum Bier ein. Wir fragen di Mauro, ob das Jahr 2020 denn überhaupt noch realistisch sei. „Wollen Sie wirklich wissen, was ich denke?“, fragt er und schüttelt lachend den Kopf, „dieser Flughafen ist kein Flughafen. Er ist eine Krücke. Und das wird er immer bleiben.“
Auch wenn di Mauro schon seit Jahren nicht mehr am Projekt mitwirkt, ist er auf dem neusten Stand, schreibt gerade sogar ein Buch darüber. „Das Gebäude ist für einen Flughafen nicht geeignet, in vielerlei Hinsicht. Es sind vier Geschosse. Wo gibt es so einen Flughafen? Man braucht eine Ankunft-, eine Abflugebene. Man baut zwei Ebenen oder ebenerdig. Wofür vier?“
Im Gegensatz zur BER-Planung ist das hier auf jeden Fall ein dramaturgisch-choreografisches Meisterwerk. Hier ist nichts falsch kalkuliert. Jede kleinste Bewegung, jedes Geräusch, jeder Scheinwerfer – alles ist auf die Sekunde geplant. Es ist einer der raren Momente, da es richtig Spaß macht, sich mit dem BER zu beschäftigen.