Von Rainald Goetz
09.01.2008 / Vanity Fair Online
Auf der Achse Avantgarde – Faschismus war die Einführung des Fernsehens in Deutschland an der Jahresstelle 1934 eingetragen, und an eben diesem abendlichen Minutenpunkt, um kurz nach halb acht, waren im voll ausverkauften Hau 2 am Halleschen Ufer die Lichter ausgegangen für den Beginn der fernsehanalytischen Theateraufführung von Rimini Protokoll: Breaking News, ein TAGESSCHAUSPIEL.
Der Anfang war sofort riminimäßig toll: Menschen aus den Randbereichen des Mediengeschäfts stellten sich in freier Rede vor, eine Cutterin, ein Nachrichten-redakteur, mehrere Dolmetscher, und sie erzählten vom Sozialpalast in der Pallasstraße 6, einer Ikone der Fassadenverwahrlosung durch Satellitenschüsseln, dessen Bewohner sie angeblich seien. Es brauchte die Erzählung dieser echten Menschen, dass es einem einmal richtig klar wurde: wie viele verschiedene Fernsehprogramme AUS ALLER WELT tatsächlich durch diese traurigen Satelliten-schüsseln in die Wohnungen dahinter geholt werden können, ist natürlich sinnvoll, weil sich die Bewohner, aus aller Welt gekommen, auf die Art eben mit heimatlichen Programmen versorgen können.
Die Bildwände von der Balkonfassade der Pallasstraße wurden umgedreht, ein riesiger Weltatlas wurde sichtbar: ah!, und die Spieler stellten, auf die Karte zeigend, die von ihnen heute jeweils gecoverten Regionen vor: Südamerika, Island, Deutschland, Mittlerer Osten, Indien und Russland. Hinter den Karten hatte eine Armada von Fernsehapparaten gewartet, die jetzt, letzte Verwandlung des Bühnenbilds, sichtbar wurden, auf vier Regalen locker angeordnet. Es war schon kurz vor acht. Der den Ablauf choreographierende Spielleiter am seitlichen Mischpult nahm eine Posaune in die Hand und trompete mit ihr eine echte FANFARE in den Theaterraum. Die Tagesschau fing an.
Leider ahmte die Inszenierung jetzt allzu mimikrihaft den Live-Schalte-Irrsinn des echten Fernsehens nach: und wie ist die Stimmung bei Ihnen? Zwischen den verschiedenen Nachrichtensendungen aus den unterschiedlichen Weltregionen wurde schnell hin und her geschaltet, der jeweilige Übersetzer erläuterte kurz, was gerade kam, dann war schon wieder der nächste dran. Die davon im Zuschauer-raum hervorgerufene Heiterkeit signalisierte: wissen wir, kennen wir, ist ja witzig, ha ha. Aber genau das hätte man doch jetzt gerne genauer erklärt bekommen von den informierten Benutzern: was das Nichtgleiche, das Besondere, Andere der jeweiligen Nachrichtensendung ist.
Walter von Rossum, der die Tagesschau präsentierte, hatte schöne lange Haare, einen wohlgenährten Bauch mit schönen weißem Hemd darüber und fühlte sich in seiner Rolle als Supertopcheckerbunny der Medienkritik ein bisschen allzu wohl. Er hat ein ganzes Buch über die Tagesschau geschrieben. Jetzt erzählte er hier, was er dabei herausgefunden hat: nur aus den Medien würden die Journalisten sich über die Welt informieren, viele hätten sogar ANGST vor der echten Welt. Auch werde die Tagesschau schon eine Woche im Voraus geplant, weil die sogenannten Aktualitäten schon im Voraus bekannt seien. Und insgesamt werde so nur ein sogenannter Schrebergarten des Realen von der Tagesschau verkauft, anstatt die Realität selbst präsentiert.
Die Intervention dagegen kam von der Poesie der Bühne: der Chor der Stimmen aller Dolmetscher, die gleichzeitig leise murmelnd redeten, wurde zum großen atmosphärischen Weltgeflüster, das den menschlich bewohnten Planeten der Erde ja wirklich ummurmelt, und dahinter wummerte, individuell herzschlaghaft, das Ambientgeblubbere einer leisen Musik: schön. Ich wurde ein bisschen müde. Es war jetzt halb neun, der Theaterabend war genau an seiner Mittelstelle. Irgendein Break müsste jetzt kommen. Und welche neuen ARGUMENTE waren vorgesehen für den zweiten Teil?