Von Jürg-Peter Lienhard
25.05.2005 / Web-Journal
Zücken Sie die Walther, oder secklen Sie ab, wenn Sie jemand ins Theater einlädt? Haben Sie lieber Handörgeli-Musik, statt Opernmusik? Sind Sie der Ansicht, Theater sei nur für Klugscheisser und Fidleburger? Ist für Sie Theater stinklangweilig, und halten Sie Schauspieler für affektierte Hysteriker oder weltfremde Schlampen? Haben Sie keine Abendgarderobe, oder sind Sie auf Krawatten allergisch? Ist für Sie Theater einfach nur unnötiger Luxus für die oberen Zehntausend und daher die Steuermillionen, die es Jahr für Jahr verpulvert, nicht wert?
Wenn Sie nur eine dieser Fragen mit «ja» beantworten, dann gibts für Sie nur eines: Sofort eine Karte besorgen für die gewiss bald ausverkauften Vorstellungen von «Mnemopark» - eines der vergnüglichsten Theater-Spektakel, das bislang im Foyer des Basler Stadttheaters aufgeführt wurde!
Sagte ich «aufgeführt»? Das ist das falsche Wort! Da wird nämlich gespielt - gespielt mit Modell-Eisenbahnen auf einer riesigen Modelleisenbahn-Anlage im Masstab eins zu siebenundachtzig, Spur H0m. Die «Hauptrolle» nimmt eine feuerrote «Re 4/4» ein, die auf einem Güterwagen eine Mini-Videokamera vor sich herschiebt. Die Bilder dieser Kamera gelangen per Funk auf eine Grossleinwand, wo man dann die Fahrt durch Teile der Schweiz und über eine Stahl-Fachwerkbrücke bei Leipzig erleben kann, als sei man im Führerstand einer «richtigen» Lok.
Der «Hit» sind aber die vier Rentner, drei Männer und eine Frau (!), die als Mitglieder des Vereins «Modulbau-Freunde Basel» (MFB) die etwa 40 Laufmeter umfassende Modul-Anlage gebaut haben und als «Schauspieler» mit Feuereifer dabei sind. Regisseur Stefan Kaegi, ein Solothurner, hat ihnen die Abläufe zugeteilt und sie in eine Handlung integriert. «Amateur-Schauspieler» will sie Kaegi nicht heissen - im Gegenteil: diese «Yysebähnler» seien echte Profis und Fachleute. Worüber sie erzählen, wissen nur sie am besten Bescheid.
Und wie sie das denn machen, was sie erzählen, während die Lok mit der Videokamera die verschiedenen Stationen anfährt, das ist spannend, verblüffend und rührend zugleich, vor allem, wenn sie dann und wann Teile ihrer Biografie preisgeben. Diese wackeren Leute, die bislang mit Theater nichts am Hut hatten, sind mit ihren von Herz und Leber weg erzählten Geschichten die Stars des Abends!
Mitunter parodieren sie sich selbst: Einer spielt Schwyzerörgerli, während die anderen gewollt kitschig Eichendorffs Romantik-Ohrwurm «Im schönsten Wiesengrunde» singen - nicht schlecht gesungen, und doch mit gut hörbarem Augenzwinker...
Der schlaue Kaegi hat da ein Potential entdeckt, es wachgekitzelt und - das muss doch auch noch gesagt werden - hat das Leidenschaftliche der Modellbauer mit einem Konzept «angereichert», das im Kern auf den Landschaftsverschleiss, den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturwandel in der Landwirtschaft sowie auf das Bild einer «heilen Welt» abzielt. Ein tschechischer Philosoph sagte: Kitsch kommt vor dem Vergessen, womit beispielsweise auch die jungen Gründer des elsässischen Freilichtmuseums «Ecomusée d'Alsace» sich zu ihrer retrospektiven Tätigkeit berechtigt fühlen.
Das Cliché des Alpenlandes Schweiz, wo Kühe wie zu Urväters Zeiten grasen, wo Bauern freiwillige Landschaftsgärner sind - wir wissen es, ist eben ein Cliché. Wissen wir es wirklich? Clichés sind fast nicht auszurotten! Davon zeugen die auf der Videoreise eingeblendeten Filmausschnitte von «Bollywood», dem indischen Kino, das für seine sagenhaften Kitschfilme gerne und stets die «heile» Alpenlandschaft der Schweiz verwendet.
Das «Road-Movie-Film-Theater» verwendet denn die Miniatur-Stationen, die von der Kamera-Lok angefahren werden, auch als Stationen von kurzen Geschichten. Eine dieser Stationen ist Bannwil im Berner Emmental, wo die knapp dreissigjährige Rahel Hubacher - alle berühmten Emmentaler heissen Hubacher - aufgewachsen ist. Sie ist eine Bauerntochter, hat aber am Theater Basel in Guy Krnetas «Ursle - Monolog für eine Schauspielerin» als wundervoller Dickkopf sensationell debütiert und ist in «Mnemopark» gewissermassen die Moderatorin, die durch die Stationen und Fahrten führt.
Wenn der Zug an dem vom achtzigjährigen Max Kurrus gebauten Bahnhof Bannwil bei Langenthal hält, empfängt der Vater von Rahel Hubacher die Reisenden auf dem Bahnhof (als Videoeinspielung). Aetti Hubacher ist ein typischer Bauer der Gegenwart und verkörpert als solcher die Tragik des hiesigen Bauernstandes: Er hat mit Kühen angefangen, wechselte dann auf Zuckerrüben und vermietet jetzt Bagger, die er im ehemaligen Kuhstall parkiert hat. Nix von heiler Bauernwelt...
Wo immer der Zug anhält, gibt es was zu erzählen. Seis von den Modellbauern selbst, seis mit eingespielten Filmsequenzen. Und manches tönt absurd, tönt nicht nur, sondern ist es: Der Besamungs-Techniker, der seine tiefgekühlten Stieren-Spermata im Kofferraum seines Autos zu den Kunden fährt - zum Beispiel. Dann schildert Rahel Hubacher mit gespielt monotoner Stimme, dass man eine Kuh «nach Mass» herstellen lassen kann, was mittels künstlicher Besamung geschieht. Im umfangreichen Besamungs-Katalog gibts Varianten für Zitzenlänge, Lendenumfang, Farbe des Fells, Eutergrösse, Milchleistung etc. Nix von heiler Kuh-Welt.
Die geschickte Gegenüberstellung von Scheinwelt und Realwelt verdichten das Thema, das der «Mnemopark» anspricht: «Die Botschaft hör' ich wohl...» Aber gleichzeitig öffnet er mit den selbst präsentierten Biografien der vier Pernsionierten eine unbekannte Welt, die wir bislang mit dem Clichés des «Kleinbürgervergnügens» abgetan haben. Da haben wirs wieder: Cliché, Cliché, Cliché...
Da ist zum Beispiel das Mitglied des Vereins Modul-Freunde Basel, Heidy Louise Ludewig. Sie widerspricht dem Cliché der «Modell-Yysebähnler» in jeder Beziehung: Zunächst ungewöhnlich ist, dass sie als Frau in dieser scheinbar nur von «grossen Buben» beherrschten Domäne mitmacht. Und erst noch höchst kompetent. Weiter hat die in Leipzig aufgewachsene Frau den Beruf der Stahlbauschlosserin erlernt, Fachwerkbrücken aus Stahl gebaut - heute aber pflegt sie als «Nebenhobby» die Seidenmalerei... Sie flüchtete aus der DDR und hat hier Karriere als Lehrerin und Designerin gemacht. Ihre Module baut sie aufgrund literarischer Landschaften wie Lummerland, Schloss Neuschwanstein oder das Schlaraffenland aus «Der 35. Mai».
Oder Hermann Löhle aus Konstanz am Bodensee. Der war früher Möbelschreiner, und als die Spanplatten-Kultur aufkam, wechselte er als Galvanotechniker. Er betätigt sich seit seiner Penisonierung auch als Taucher oder Fahrradfahrer.
Der vierte im Bunde und erst noch der jüngste ist René Mühlethaler aus Basel. Er lernte Maschinenzeichner, sprang frühzeitig 1966 auf das Trittbrett der Informatik und ist heute Präsident des Vereins Modulbau-Freunde Basel.
Nebst den vielen Mitwirkenden vor und hinter den «Kulissen» - die Liste ist ziemlich lang - sei noch Nicki Neecke, für Ton und Musik verantwortlich, sowie Werner Buser als technischer Berater des Vereins MFB erwähnt.
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