Von Oliver Jungen
12.03.2011 / Frankfurter Allgemeine Zeitung
Freitag war Payday im hessischen Gelnhausen: „Das war das Schlimmste, was passieren konnte.“ Eine Brigade amerikanischer Soldaten bekam ihren Lohn und hatte nichts anderes im Sinn, als diesen mit Musik, Alkohol und Mädchen auf den Kopf zu hauen. Aus dem kalten Krieg wurden heiße Nächte. Nicht das Schlimmste war deshalb: Der Russe hätte einmarschieren können. Dabei würde er, so befürchtete die Nato, den Weg über die Barbarossastadt Gelnhausen nehmen, weshalb man Vorbereitungen getroffen hatte, mittels hundertsiebenundfünfzig nuklear Sprengsätze die gesamte Gegend, das „Fulda Gap“, in den Orkus zu befördern. Mehrere tausend amerikanische Gis hätten die Russen bis zur Zündung des apokalyptischen Atomschlags aufhalten sollen.
Kanonenfutter also war sie, die Brigade in Gelnhausen, in der kurzzeitig auch der spätere amerikanische Außenminister Collin Powell stationiert war. Wie Lebte es sich mit dieser doppelten Todesdrohung („Hier kommst du nicht her als Tourist, hier kommst du her zum Sterben“)? Einfach prächtig. Zumindest wenn man von jener Sorglosigkeit ist, wie sie Amerikanern eigen isst: „Ich habe nie von irgendjemandem gehört, dass er Angst vor den Russen gehablt hätte“, sagte Stephen Summers, ehemaliger GI. „Das war kein Thema. Nie.“ Die Frage in Bratwurst-Country war vielmehr: „Where are we going tonight? Where is the party?“ Die Party ist vorüber, das militärische Schreckensszenario in sich zusammengesackt. Doch aufgearbeitet ist dieser Clash der Kulturen noch kaum. Das gigantische Sozialexperiment, an über zweihundert Punkten in Deutschland Horden von jungen, oft farbigen Amerikanern zu stationieren, die Musik, Tanzstile und Lässigkeit importierten, war bei allen Problemen, die etwa der sexuelle Hunger mit sich brachte, schließlich auch ein Crashkurs in Sachen Weltoffenheit.
Wie in der prospektiven Frontstadt Gelnhausen die Parallelgesellschaften aufeinander zugingen, wie man von den Amerikanern profitierte („eine Melange aus Geschäftsmacherei, Kumpanei, Sauferei“), wie unwiderstehlich die panzerrohrputzenden Athleten auf die einen wirkten, wie gefährlich auf die anderen (etwa auf jene Großmutter, die mit den Amerikanern in dem Moment abgeschlossen hatte, als sich ein Trupp bei der Einnahme des tiefbraunen Gelnhausen 1945 über ihr Eingemachtes hermachte), was mit den Kindern der Beziehungen geschah, welche Freundschaften entstanden, das alles ist jetzt in einem hervorragenden Radiofeature zu hören, hinter dem das in Theater- und Radiokreisen zu Recht berühmte Rimini Protokoll steht.
Drei Künstler realisieren ihre Solo- und Gemeinschafts-Projekte unter diesem Label. Eine von ihnen ist Helgard Haug. „Payday“ hat sie gemeinsam mit ihrer Schwester Heike Haug produziert, was einen besonderen Grund hat: Beide sind in Gelnhausen aufgewachsen. Die Stimmenmontage ist nicht nur rasant geschnitten, erhellend und höchst amüsant, sondern auch formal bestechend: Das Ineinandergreifen der Aussagen, die teil Halbsatz für Halbsatz alternieren, bildet genial jenes Ineinander der Kulturen, Generationen und politischen Szenen ab, das so prägend war für alle Garnisonsstädte nach dem Zweiten Weltkrieg.