Von Ralf-Carl Langhals
11.09.2010 / morgenweb
Sie machen Theater. Manchmal mit Ameisen, Hund oder Meerschweinchen. Meist aber mit "ganz normalen Menschen", jedenfalls nie mit Schauspielern. Das Künstlerkollektiv Rimini Protokoll scheint sich der Narration des Theaters zu verweigern und geht eigene Wege. Bei den Mannheimer Schillertagen 2005 fanden sie in Ex-OB-Kandidat Sven-Joachim Otto Schillers "Wallenstein" und "einen Spezialisten für Wirklichkeit". Im Heidelberger Kunstverein, wo zum zehnjährigen Bestehen des Kollektivs eine Schau zu sehen ist, sprachen wir mit Helgard Haug und Daniel Wetzel.
Sie arbeiten mit brasilianischen Polizisten, lettischen Bürokraten, deutschen Aktionären. Und das in verschiedenen Konstellationen und parallel in x Städten und Erdteilen. Wo finden Sie zusammen?
Helgard Haug: Im Zug nach Heidelberg oder im Flugzeug, da klappt das sehr, sehr gut (lacht). Da kann man nicht raus - und auch die Telefone gehen über weite Strecken nicht. Wir haben da kein Ritual, dass wir uns etwa jeden Montag oder einmal pro Woche zur Teamkonferenz verabreden. Ich glaube, es gibt diese Form für uns gar nicht, wo es ums Zementieren geht. Die Struktur, in der wir arbeiten, ist sehr offen. Projektabhängig gibt es dann auch mal eine Konferenzschaltung oder wir sitzen tatsächlich zu dritt an einem Tisch.
Eigentlich hätte ja heute auch der Dritte im Bunde, Stefan Kaegi, hier am Tisch sein sollen...
Haug: Deshalb sind wir ja zu dritt, damit immer einer fehlen kann...
"Experten für Wirklichkeit" oder gar "Laientheater" - können sie diese Begriffe noch hören?
Haug: Klares Nein! Dieses Label ist ein absolutes Problem. Wir haben am Anfang gesagt, es ist dokumentarisches Theater. Wie sich der Dokumentarfilm zum normalen Film verhält, verhält sich unsere Form von Theater zum institutionellen Theater mit Schauspielern, Rollen und Text. Aber dieses Kriterium ist nur ein Teil des Ganzen. Wie auch bei anderen Regisseuren oder Dramatikern gibt es immer die Wirklichkeit und eine gewählte Spielform. Spieler stellen Behauptungen auf, die wir ja auch suchen und die uns reizen.
Für die Verwirrung von Spiel und Realität sind Sie absolute Experten. In der Ausstellung haben Sie Ihre Ideen als "Prophezeiungen über das Theater der Zukunft" 80 Heidelbergern in die schreibende Hand diktiert. Treiben Sie damit ihr Verfahren nicht auf die Spitze?
Haug: Klar. "Heidelberger Bürger visionieren ihr Theater der Zukunft" wäre falsch, das haben wir so nicht angekündigt. Wir haben immer gesagt, das sind unsere Texte, unsere Entwürfe. Und die wollen wir aber jetzt eben nicht in Schrift "Arial 12 Punkt" an die Wand setzen, sondern wir wollen Handschriften dazu. Uns geht es ja immer um eine Begegnung. Unsere Arbeit ist auch eine andere Form, Menschen kennenzulernen, Beobachtungen zu machen.
Nach welchen Kriterien suchen Sie Ihre Protagonisten aus?
Wetzel: Es geht um Zusammenarbeit, etwas Zwischenmenschliches, das untereinander entstehen muss. Da sollte eine Faszination aufkommen, das Gefühl, etwas wissen zu wollen. Wir suchen Menschen, von denen wir Geheimnisse erwarten oder von denen man etwas erfahren wird, worauf man sich freut. Wir lassen uns thematisch auf etwas ein und gehen auf die Suche. Das ist erst mal eine Recherche, in deren Verlauf wir Dinge auch wieder verwerfen, weil wir aus Begegnungen lernen.
Bei aller "Wirklichkeit" arbeiten sie doch mit einer Künstlichkeit, indem Sie stark eingreifen. Wie geht dieser Prozess vor sich?
Wetzel: Wir zeichnen die Dinge auf. Es ist nicht nur so, dass wir sie glätten, sondern teilweise auch neu schreiben. Bestimmte Formulierungen verselbstständigen sich. Manches müssen wir im Hinblick auf Timing und Schwerpunkte auch eingrenzen. Wenn klar ist, wo man hinwill, gibt es später dann wieder eine Divergenz zwischen Skript und Aufführung. Oder man muss zu Festgefahrenes wieder etwas lockern. Die Macke, dass Theater einerseits momentan ist und andererseits immer wiederholt wird, kriegen auch wir nicht raus.
Sie stammen von einem Institut, das antrat, Stadttheater zu hinterfragen. Sie arbeiten nun viel für große Häuser. Machen Sie freies Theater oder sind Sie mittlerweile eine obligate Trendfarbe im Spielplan des Apparats Stadttheater?
Wetzel: Sie wissen ja nicht, was wir alles nicht gemacht haben... Diese Momente gab's schon, da haben wir aber "Nö" gesagt. Manchmal denken Dramaturgen und Theaterleiter auch auf dieser Schiene - müssen Sie ja auch. Wir sind aber interessiert daran, dass Theater unseren Arbeitsprozess konstruktiv und kritisch begleiten - und keinen Zaubertrick oder ein Label erwarten.