In die Schwerkraft gespuckt

Hygiene Heute im Mousonturm mit "Physik"

Von Sylvia Staude

18.01.2003 / Frankfurter Rundschau

Der Physiker, den man in einem kurzen Film sehen kann, hat eine klare Meinung: Physik passt nicht ins Theater. Nun, das mag für einen Windkanal zutreffen, in dem eine Kraft, die der von 3 000 Haartrocknern entspricht, Windgeschwindigkeiten von mindestens 250 Stundenkilometern erzeugt. Und in den ein Zug passt.

Das gilt aber nicht für einen kleinen Fön, der einen Tischtennisball in der Luft tanzen lassen kann. Oder für eine Colaflaschen-Rakete. Oder für ein bisschen Spucke, die flugs die Schwerkraft beweist.

Am schönsten widerlegt aber wird die Meinung von der Unvereinbarkeit von Physik und Theater dadurch, wie dieser Physiker in einem Theaterraum zu sehen ist: Keine Leinwand fängt das Licht des Projektors auf, sondern ein schnell im Kreis gewirbeltes Band. Dessen Geschwindigkeit - und die Fähigkeit des menschlichen Auges, über Lücken ziemlich gnädig hinwegzusehen - lässt tatsächlich ein recht gut erkennbares Bild entstehen. Man staunt.

Zum Staunen kommt man reichlich in Physik, der jüngsten Produktion von Hygiene Heute. Bernd Ernst und Stefan Kaegi taten sich 1998 am Gießener Institut für angewandte Theaterwissenschaften zu Hygiene Heute zusammen. Beide arbeiten aber auch in anderen Konstellationen daran, das Theater für das Leben zu öffnen. Oft bitten sie Laien auf die Bühne, manchmal sogar animalische: Den Kongress Europa tanzt bestritten 70 Meerschweinchen.

Doch diesmal sprangen die richtigen Physiker ab und Hygiene Heute engagierte Karl Bruckschwaiger und Amadeus Kronheim, die beide zwar nicht im strengen Sinn Schauspiel-Profis sind, aber doch Bühnenerfahrung haben. Das lässt Raum für kleine charmante Unvollkommenheiten, wie sie Ernst und Kaegi lieben.

Und schließlich geht auch bei den Experimenten nicht immer alles glatt, am Frankfurter Premierenabend etwa wollte sich ein Blatt Papier von Schallwellen partout nicht schubsen lassen.

Trotzdem leuchtet ein, dass es frei nach Beuys heißen muss: "Jeder Mensch ist ein Physiker." Physik macht jedenfalls wunderbar neugierig auf Physik. Aber Physik stellt auch Fragen über die politischen Auswirkungen
naturwissenschaftlicher Forschung. Oder, umgekehrt, die Auswirkungen politischer Überzeugungen auf die Etats bestimmter Forschungsgebiete. Und Physik macht darauf aufmerksam, dass Wissenschaft und
Theater sich bedenklich nähern, wenn zum Beispiel Messdaten gefälscht, also fiktionalisiert werden. Oder war nicht Jan Hendrik Schön, der es mit vielen erfundenen Daten immerhin fast zum Leiter des Max-Planck-Instituts gebracht hätte, offenbar auch ein guter Physiker-Darsteller?

Hygiene Heute führt einen durchaus überzeugenden Beweis: Theater ist, was man dazu macht. Einen Windkanal und einen Zug bracht man dafür nicht.

• Eine Vorstellung noch heute, Samstag, 20 Uhr im Mousonturm,

Waldschmnidtstraße 4, Karten-Tel. 40 58 95 20.


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