Von Stephan Hilpold
21.02.2021 / Der Standard
Ganz schön einsam ist es im frisch herausgeputzten Volkstheater. Die langen Gänge riechen noch nach Farbe, der Zuschauerraum ist leer und auch im Kostümfundus lässt sich niemand blicken. "Theater ist Raum, Geruch, Adrenalin – und Gemeinschaft", flüstert einem eine Kopfhörer-Stimme ins Ohr. Blöd nur, dass das mit der Gemeinschaft derzeit nicht sein darf. Am Volkstheater unter der neuen Intendanz von Kay Voges hat Stefan Kaegi von der Gruppe Rimini Protokoll deshalb aus dem Theater eine Art Museum gemacht. Oder anders gesagt: Aus der Black Box wird ein White Cube.
Wie man sich das vorstellen kann? Ausgerüstet mit einem monströsen Kopfhörer geht es für jeweils einen Besucher im Fünfminutentakt durch die Eingeweide des Theaters. Zum Start setzt man sich ins Kassenhäuschen, während die Geräusche eines vollen Foyers zugespielt werden und die Stimme im Ohr nach dem letzten Theaterbesuch fragt. Ein ganzes Jahr ist das Volkstheater bereits geschlossen, das Haus wurde generalsaniert, die Wiedereröffnung im Jänner wegen Corona verschoben. Ganz schön lange her also, dass man hier war. In den Räumlichkeiten, durch die einen die Stimme in den folgenden 90 Minuten führt, war man dagegen überhaupt noch nie.
Und man macht bei seiner Erkundungstour große Augen: In der Kostümankleide geht die Nähmaschine plötzlich an, im Requisitenzimmer blühen Blumen auf, während Schnee von der Decke fällt. Es geht hinunter in den müffelnden Kühlraum und in den schummrigen Souffleurkasten, man begutachtet die Unterbühne und nimmt auf dem Inspizientensessel Platz, bis es schließlich unter sekundengenauen Anweisungen auf die Bühne geht. Dort steht man im grellen Scheinwerferlicht, während die Schauspielerin im Ohr (Bettina Lieder) von ihren Ticks, Tricks und Ängsten erzählt und der Eiserne niederfährt.
Ob man bei Black Box selbst Beobachter oder Protagonist ist, so genau wird das nicht geklärt. Genauso wenig wie die Frage, ob es sich bei diesem Phantomtheater um eine große Erkundungstour oder ein gewieftes Theaterseminar handelt. Einerlei. Sicher ist, dass Rimini Protokoll die Maschinerie Theater auf wundersame Weise in ihre Einzelteile zerlegt, um sie wie von Geisterhand wieder zusammenzubauen.
Am Ende, wenn es von der Bühne in den Zuschauerraum und dann in eine der Logen geht, wird man unwissentlich Teil einer kleinen Inszenierung. Das ist genauso klug wie charmant gemacht und entlässt einen mit dem dringenden Gefühl, jetzt endlich wieder ins Theater zu wollen. Mit allem Drum und Dran.