Von Natasa Govedic
14.09.2006 / Novi List
Cargo war das attraktivste Ereignis des diesjährigen Urban Festivals- während dieses theatralen Ereignisses wurde das Phänomen Arbeit inszeniert, respektive Arbeit als Lebensweise und eine Art seine persönliche, sowie performative Identität auszudrücken
Gänzlich im Gegensatz zum „Roadmovie“ als utopischem, abenteuerlichen oder zumindest romantisch-nonkonformistischem Genre, hat das „Roadtheater“ in der Ausführung der schweizerisch-deutschen Gruppe Rimini Protokoll auf dem diesjährigen Urban Festival dem Publikum zahlreiche Elemente der derben, monotonen und von ökonomischen Zwängen geprägten Realität auf der Straße näher gebracht.
Als ob sie der Großstadt unter die Haut krieche, besuchte die Zagreber Öffentlichkeit (alles in allem 40 Zuschauer je Vorführung) echte Warenlager im Industriegebiet Zitnjak, und besichtigte dabei Orte, welche sonst ausschließlich die Arbeiter der Warenlager und die Lastwagenfahrer zu Gesicht kriegen.
Ihre Hohheit Ware
Der bewegliche Theaterraum des umgebauten Lastwagens aus Bulgarien funktionierte als „Kiste“, deren Wände entweder durchsichtig waren, oder Projektionsfläche boten. Dadurch gaben sie einen Einblick in Geschichten, persönliche Fotografien und Aufnahmen der wachsenden Müdigkeit der Fahrer, ihrer „stolzen Armut“, der hochmütigen, korporativen Arbeitgeber, der anhaltenden sozialen Deprimiertheit, der Unsicherheit rund um die Fracht, der Korruption der zu überquerenden Grenzen, sowie der Sehnsucht nach der Heimat.
Die Vorstellung Cargo Sofia-Zagreb, indessen, ist nicht gedacht als Voyeurismus für die Theaterbourgeoisie, sondern als politisch präzises Bild eines Konsum-Netzes, in welchem die Lieferung eine weitaus größere Rolle zu spielen scheint, als die Person hinter dem Lenkrad, welche dafür sorgt, dass das Toilettenpapier unversehrt von Sofia nach Zagreb gelangt. Die auf die Wände des Lastwagens projezierten Filmausschnitte aus den Hauptstädten Bulgariens und Serbiens vermischen sich mit der Fahrt durch die realen Zagreber Straßen; Pausen an heimischen Tankstellen stimmen visuell auf eine gespenstische Weise überein mit den verwahrlosten Grenzübergängen Europas.
Von Minute zu Minute wird dem Zuschauer klar, dass die Straßen eigentlich die Blutbahn des verzweigten europäischen Schwarzmarkts darstellen, auf dessen Gelände eigene Gesetze der Ausdauer und Verschwörung herrschen. Dabei verbringt der durchschnittliche bulgarische Lkw-Fahrer monatlich insgesamt 4 Tage im eigenen Heim, mit einem Monatsgehalt von 500-600 Euro.
Arbeit als performative Identität
Die Mitwirkenden dieser Aufführung meldeten sich auf eine Zeitungsannonce, wobei zur Mitwirkung eine langjährige Fahrerfahrung vorausgesetzt wurde. Die beiden ausgewählten bulgarischen Lkw-Fahrer sprachen uns während der Vorstellung mit einer Kombination aus Bulgarisch, Englisch und Deutsch an. Viel bedeutender als ihre Worte erschienen mir jedoch ihre Gesichter, tief gezeichnet von Müdigkeit. Ebenso erschienen ihre Bewegungen, zeitlupenhaft wie Bewegungen einer Schildkröte, nur sehr schwer aus dem Takt oder vom Weg ab zu bringen. Dieses theatrale Ereignis präsentiert auf eine einmalige Weise das Phänomen der Arbeit, respektive Arbeit als Lebensweise und als eine Art um die persönliche und performative Identität auszudrücken.
Auch wenn die gesamte Fahrt mit dem Publikum von Anfang an durchgeplant ist, ereigneten sich auch ununterbrochen unvorhergesehene Dinge. Beispielsweise reagierten Passanten schockiert auf den vergläserten Lkw und seine Insassen, so als wäre Menschenhandel in Frage. An einem der Lagerparkplätze fuhr man knapp an rastenden Lkw´s vorbei, deren Fahrer man zufällig bei ihren Freizeitaktivitäten beobachten konnte: Zubereiten des Abendessens, Schauen pornografischer Filme, Schreiben von Berichten, Radiohören. Das Vermischen von alltäglichen und theatralen Handlungen resultierte in witzigen Kollisionen der Wirklichkeit, und hob die Grenze zwischen Theater und Realität auf.
Reifeprozess des Festivals
Es ist bemerkenswert wie das diesjährige Urban Festival endlich seine eigenen ästhetischen und politischen Prioritäten gestaltet hat: zahlreiche städtische Räume sind vorübergehend umbenannt in Promenaden von Globalisierungs-Opfern oder Plätzen von Opfern des Patriarchats; der Blumenmarkt beherbergte am verkaufsintensiven Samstag Vormittag auch eine friedliche Protest-Aktion der Zagreber Gruppe Bad Company: es wurden öffentliche Debatten in Gang gesetzt mit dem Thema der wilden Kapitalisierung öffentlichen Raums. Cargo steht exemplarisch für die Beschäftigung des Festivals mit der Stadt als verstecktem, unspektakulärem, und tief konflikt- und ideologiereichem Raum.
Die Vitalität im Denken und im Theater, sowie dem politischen Kontext des Theaters wird in diesem Moment in Kroatien nicht mehr durch etablierte Festivals wie das Eurokaz repräsentiert, sondern durch junge und aktivistische Träger wie Queer oder das Urban Festival. Aus kritischer Perspektive fehlt ihnen einzig die Offenheit oder eine größere Motivation um auch das nicht-fachliche Publikum mit einzubeziehen.