Identitäten geknickt

Deaktivierte Kennkarten bringen Theater auf die Höhe der Zeit

Von Tom Mustroph

29.10.2004 / Neues Deutschland

»Sabenation« ist im Hau 2 zu sehen. Das klingt fast wie Initiation, die Aufnahme in eine Gemeinschaft. Nicht von ungefähr. Denn das jüngste Projekt der »Realitätskopierer« Rimini Protokoll für die Bühne beschäftigt sich mit der Abwicklung einer Fluggesellschaft.

Über die Recherche zur nicht mehr existierenden Sabena stellte sich heraus, wie sehr die dort Beschäftigten dem Glauben anhingen, Teilhaber eines Projekts der Erwählten zu sein. Anders kann man die Fassungslosigkeit nicht deuten, die Kris Depoorter noch heute ins Gesicht geschrieben steht, wenn er im Stück davon berichtet, wie seine Karte einst als »ungültig« abgewiesen und sein persönliches Sprechfunkgerät, über das er mit Piloten kommunizierte, außer Betrieb gesetzt wurde. Depoorter war bis 2001 Verkehrsregulierer auf dem Flughafen Brüssel. Jetzt steht er gemeinsam mit fünf früheren Kollegen sowie der Tochter einer Ex-Sabenien auf der Bühne und beschreibt mit ihnen, wie es zum Crash der stolzen Luftflotte der Flamen und Wallonen kam.

Das Septett schildert ebenfalls, wie hart die Bruchlandung auf dem Acker der Arbeitslosigkeit ist. Depoorter etwa hat für jedes Vorstellungsgespräch eine neue Krawatte erworben. Er legt eine nach der anderen an und erzählt von der vergeblichen Mühe. Medhy Godart, einst Fahrer eines Cateringtransporters, bewarb sich erfolglos bei Hertz, Avis, Europcar und lokalen Busunternehmen. Er verdingt sich jetzt als Mars-Maskottchen im Erlebnispark in Brüssel.

Doch verweben Rimini Protokoll nicht nur Erwerbs- und Arbeitslosigkeitsbiografien miteinander. »Sabenation« ist ein virtuoses Spiel mit Assoziationsketten. Die Fluglinie wurde 1923 eröffnet, um das blutig beherrschte afrikanische Kolonialgebiet ans belgische Königshaus zu binden. Sie war Vertriebsweg für Sicherheit: Security-Experte Danny Rits beschreibt, wie er europäische Sicherheitsstandards auf dem Flughafen Kinshasa einführte. Er demonstriert, wie er abgeschobene Asylbewerber beim Rückflug ruhig gehalten hatte. Idyllisch ausgeleuchtet wird die Sabena, wenn Rits von seinen Aktivitäten als Mitglied der firmeneigenen Tischtennismannschaft berichtet. Man wurde piekfein eingekleidet, weltweit zu Turnieren geflogen. Gegen Air China habe man stets verloren, doch sonst eine gute Figur gemacht.

Sogar mit dem 11. September ist die Sabena verknüpft. Zwar krachte keine ihrer Maschinen in World Trade Center oder Pentagon. Doch just als die Welt den Atem anhielt, crashte die Sabena ökonomisch. Am 7. November 2001 waren alle Türen dicht, 12000 Magnetkarten gesperrt, 12000 Telefonanschlüsse, Postfächer und E-Mail-Adressen nutzlos. Und 12000 Identitäten geknickt. Aus der Firmenleitung hieß es damals: »Go home and follow the news«.


Mit Einspielung von Nachrichtenmaterial, eigenen Dokumentaraufnahmen, Aussagen der Beteiligten und einer sachlichen Analyse von Fundstücken gelingt Rimini Protokoll eine verstörende Rekonstruktion des Zerberstens einer heilen Welt. Bizarr bleibt allerdings der melancholische Unterton der Erzählung. In diesem Duktus könnte über den neu erworbenen Anzug, einen gerade gesehenen Film, das Wetter oder Sportergebnisse vom Wochenende geplaudert werden. Hier jedoch geht es um Existenzen, vernichtete Arbeitsbiografien.

Man kann Rimini Protokolls süßlichem Erzählton Nivellierung unterstellen. Man kann darin allerdings auch einen subtilen Hinweis auf die herrschende Konformität entdecken. Auf jeden Fall spielt die Gruppe feinsinnig mit Realitäten und Einbildungen. Es ist Theater auf der Höhe der Zeit.

Bis 30.10., 20 Uhr, Hau 2, Hallesches Ufer, Kreuzberg


(ND 29.10.04)


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Sabenation. Go home & follow the news