Herzenstausch: Rimini Protokoll in Zürich

Von Stefan Kister

04.04.2006 / Die Welt

Vier große Bildschirme im Studio Schiffbau des Zürcher Schauspielhauses mit Szenen aus einem OP - eine Herztransplantation wird vorbereitet. Dann kommt Heidi M., leibhaftig und nicht mehr ganz jung. Sie erzählt von dem Glückstag, als für sie ein Spenderherz gefunden wurde. Mit ihm lebt sie fort wie mit einem neuen Partner in einem zweiten Leben. Damit wiederum haben Nick und Jeanne Erfahrung: Sie vermittelt Kontakte zu heiratswilligen Frauen in Rußland, er veranstaltet Single-Events mit "Speedflirting".

Daß auf dem Theater Herzensangelegenheiten verhandelt werden, ist nicht neu. Wohl aber die Weise, in der sich die Wirklichkeitsarrangeure der freien Theatergruppe Rimini Protokoll dieser Thematik annimmt in ihrem neuen Projekt "Blaiberg und Sweetheart 19". Denn wie das menschliche Zentralorgan Blut durch zwei getrennte Systeme zirkulieren läßt, pumpen Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel ihre Stoffe durch den Kreislauf zwischen Bühne und Wirklichkeit, um ein Geäder von Bedeutungen und Querverbindungen freizulegen: etwa in ihrem "Wallenstein" zwischen einem geschaßten Mannheimer OB-Kandidaten und der Schillerschen Figur, in "Deadline" zwischen Sterbekundlern aller Art; beide Produktionen wurden zum Berliner Theatertreffen geladen.

In "Blaiberg und Sweetheart 19" geht es um das Leben - und doch auch um den Tod; geht es um doppelsinnige Herzenssuche: um es als Organ zu transplantieren oder es sich als Liebesspender seelisch einzuverleiben.

Der Weiße Philip Blaiberg aus Südafrika war 1967 der erste Mensch, der vom Tod eines anderen, eines Schwarzen, profitierte, weil er mit dessen Herzen weiterleben konnte. Weiterleben, das ist auch das Problem für die ehemalige Kantonsrätin Crista W., nachdem sich ihr Sohn umgebracht hat. Ihr Herz hat sie gleich in doppelter Hinsicht zu vergeben: einmal per Chat an Menschen, die im Internet unter "Sweetheart19" nach einem Partner suchen, und dann per Organspenderausweis.

Wie immer bei Rimini ist jeder ein Darsteller seiner selbst und eine Spielfigur zugleich in einer ausgeklügelten szenischen Choreographie. Da umreißt etwa Heidi existentielle und geographische Grenzüberschreitungen der Transplantationsmedizin und ein ferngesteuertes Rodeoschwein demonstriert die kreatürlichen Kräfte der Abstoßung - von Organen, aber auch von jenen Herzen, die nur der kommerzielle Import und Export von Gefühlen zusammenführt.

Denken in Korrespondenzen, das ist es, was Rimini ausmacht. Sozusagen mit Herzverstand werden dabei nicht die Schichten klassischer Vorlagen zur Deckung gebracht mit heutigen Problemen, sondern brisante Aspekte des Textes, den das Leben selbst schreibt.??

 


Projekte

Blaiberg und sweetheart19