Von Benedetto Vigne
14.10.2017 / Tages Anzeiger
Zürich, Theater Gessnerallee – Am Anfang war ein Musikvideo von 1959. Der US-Komponist John Cage führt darin eines seiner famosen Stücke auf, „Water Walk“, ein vornehmlich auf Haushaltsgeräten gespieltes Geräuschemenuett, wobei einem Dampfkochtopf eine tragende Rolle zufällt. Eine Schar Teenager, Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, dem Sudan, die in einem Auffangheim in Athen leben, sehen das Video und möchten Cages Stück live nachspielen und nach Europa bringen. Da ihnen aber die Weiterreise verwehrt wird, schicken sie es als interaktive Performance herum, in der sie die jeweilige Spielanleitungen sprechen; das Publikum soll nun an ihrer Stelle Cages Stücklein aufführen.
So weit das Setting zum Stück „Evros Walk Water 1&2“ von Rimini Protokoll, das ursprünglich in einem Athener Kulturzentrum entstanden ist. Das deutsch-schweizerische Kollektiv setzt dem Publikum individuell angesteuerte Kopfhörer auf und lässt es in einer Art Spielwiese agieren, deren grüner Teppich Europas Silhouette nachzeichnet. Zwischen den Anleitungen erzählen die Flüchtlinge ausgiebig von ihren Erlebnissen in ihrer versehrten Heimat, auf der mühseligen Flucht, beim Überqueren des türkisch-griechischen Grenzflusses Evros, in den Auffangheimen Athens, beim Heranwachsen in europäischen Städten. Und sie erzäjlen das meist in perfektem Griechisch (!), simultan auf Deutsch nachgesprochen von Schülern aus dem St. Galler Rheintal.
Die Betroffenheit allerdings hält sich in Grenzen, zumal man als Zuhörer vollends damit beschäftigt ist, ja keine Anleitung zum Agieren oder zum Weiterwandern an die nächste der rund 20 Spielpositionen zu verpassen. So bleibt das Stück vor allem eine amüsante kleine Geräuschorgie in mehr oder weniger starker Gemeinsamkeit, wie immer bei den Riminis kongenial elektronisch-digital per Kopfhörer dirigiert.
Gleich viermal ertönt so Cages Stück in Variationen, eingeleitet vom Zerplatzen eines aufgeblasenen Papiersacks und weitergeführt von einem quietschenden Plastikfisch. Die Kette rasselt um das Kaminrohr, das Paddel trommelt auf das Schlauchboot. Die Schöpfkelle schlägt den Gong. Die Blumenvase landet im mit Wasser gefüllten Boot, die Wasserkanne giesst nach. Die Réceptionsglocke bimmelt. Der Bierflaschendeckel rülpst. Das Hackbrett dengelt und das Keyboard wimmert. Aus dem Blaster das alpine Kuhgeglöcke und aus dem Megafon das Genöhle des Muezzins. Alles im Timing, alles im Takt.
Zum Abschluss darf die abgezählte Publikumsgruppe nach Herzenslust rumpeln und rasseln. Tutti con brio. Es hätte John Cage gefallen. Und den jungen Flüchtlingen in Athen erst recht.