Von Eva Hediger
12.01.2018 / Tagesanzeiger.ch
Ende Januar findet das WEF in Davos statt. Die Theatergruppe Rimini Protokoll führt «Weltzustand Davos» als Theaterstück durch.
«Ja, das Publikum muss ein bisschen mitmachen», erklärt eine der Darstellerinnen. Noch sind die Gäste auf Platzsuche. Die Sitzreihen sind oval angeordnet, in der Mitte liegt ein dicht mit Kunstschnee bedecktes Spielfeld. Hohe Berge umgeben es.
Geprobt wird «Weltzustand Davos», zum zweiten Mal vor einem Testpublikum. Das Stück über das World Economic Forum wird vom internationalen Kollektiv Rimini Protokoll inszeniert. Es ist der vierte und letzte Teil einer Reihe, in der die Theaterschaffenden Phänomene der Postdemokratie untersuchen. Welche Akteure gewinnen an Einfluss? Kümmern sich die Einflussreichen um das Gemeinwohl? Und wer hat überhaupt das Sagen? «Wir wollen diese Fragen herausschälen und gehen unterschiedlichen Antworten nach», so Helgard Haug, die zusammen mit Stefan Kaegi bei «Weltzustand Davos» Regie führt. «Wir kauen keine Message vor.»
Während seiner Recherche hat das Team aus der Schweiz und Deutschland mit Bewohnern, Wissenschaftlern, Kritikern, Politikern und CEOs über das WEF gesprochen. Im Zentrum von «Weltzustand Davos» stehen nun fünf dieser Expertinnen und Experten, darunter die junge russische Unternehmerin Sofia Sharkova, die UNO-Abgeordnete Cécile Molinier und der ehemalige Davoser Landammann Hans Peter Michel. Sie erzählen von Anforderungen sowie den Erfahrungen mit dem Mega-Anlass. An dem treffen einige wenige Entscheidungen, welche die Leben von Millionen beeinflussen.
Jetzt sind wir alle dabei. Wir diskutieren mit den Expertinnen, präsentieren Jahreszahlen und vernetzen uns. Denn während «Weltzustand ?Davos» sind wir weder Privatpersonen noch Journalisten. Alle aus dem Publikum bekommen eine Rolle zugeteilt. Ich bin Marc R. Benioff, Chef der amerikanischen Cloud-Computing-Firma Salesforce und einer der «50 einflussreichsten Menschen der Welt». Mein Sitznachbar ist mächtiger. Als wir uns am Ende der Vorstellung verabschieden, weiss ich, dass er als Chef von Shell auch einmal 24 Millionen pro Jahr verdient. Nicht nur deswegen schwirrt mir der Kopf: «Weltzustand Davos» ist dichtes Dokumentartheater, das zwei Stunden fordert. Ja, wir mussten mitmachen – aber vor allem mitdenken.