Grenzenlos Kultur: "Black Tie" beschließt das Festival

Von Eva Szulkowski

26.09.2011 / Mainzer Rhein-Zeitung

„Es gibt Kinder, die kommen aus dem Bauch, und es gibt Kinder, die kommen aus dem Flugzeug.“ Das habe ihre Mutter immer zu ihr gesagt, erzählt Miriam Yung Min Stein im Plauderton, und das Publikum schmunzelt.

Miriam Stein ist adoptiert, sie kam 1977 aus dem Flugzeug, aus Südkorea. Sie brachte ein Schwarzes Loch mit, wo das kleine Wörtchen „Ich“ seinen Platz hat. Im Stück „Black Tie“, mit dem die Berliner Theatergruppe „Rimini Protokoll“ im KUZ den Schlusspunkt des Theaterfestivals „Grenzenlos Kultur“ markierte, beschreibt sie die weißen Stellen auf der Landkarte ihrer Identität und ihre Versuche, sie mit Farbe zu versehen.

Wie üblich für das Theaterprojekt aus der Hauptstadt vermischen sich realer Hintergrund und Inszenierung. Stein steht vor einer projizierten Floralmuster-Tapete und beschreibt den Blick aus dem Fenster in eine Welt, in der alle so deutsch aussehen: „Du siehst anders aus, als du dich fühlst. Dieses Fremde ist in dir.“ Erst 2006 setzte sich die junge Frau, die heute selbst ein Kind hat, ins Flugzeug zurück nach Seoul, um dieses Fremde in ihrem Gesicht kennenzulernen. Den Zuschauern zeigt sie das Selbstporträt, das sie vor dem Abflug mit dem Handy auf der Flughafentoilette schoss: „Ich wollte festhalten, wer ich bis dahin geworden war.“

Regisseure Helgard Haug und Daniel Wetzel inszenieren Steins autobiografische Reise fern von sentimentalen Gefilden. Dafür sorgt schon die Protagonistin und Co-Autorin selbst, die ihre Lebensumstände mit spöttisch hochgezogener Augenbraue betrachtet. Das Stück vermittelt die Verlorenheit des Adoptivkinds, spielt aber die Mitleidskarte, die auf der Hand liegt, niemals aus. Stattdessen wagt es sich an unangenehme Fragen und übt Kritik: „Internationale Hilfe kotzt mich an“, urteilt Stein scharf. „Diese scheiß Gier auf ein gutes Gefühl kotzt mich an.“ In diesem Spannungsverhältnis steht auch die Beziehung zu den Adoptiveltern, die es trotz aller Bemühungen nicht schaffen, den rosa Elefanten „Dankbarkeit“ aus dem Raum zu schaffen.

Untermalt von einem atmosphärischen Progrog-Elektro-Soundtrack von Musiker Ludwig und mithilfe modernster technischer Spielereien wird Steins Ein-Frau-Show zum multimedialen Erlebnis, das nicht zuletzt selbst Medienkritik übt. Gezeigt werden Familienfotos, die mit Hintergrundwissen plötzlich anders wirken, aber auch Youtube-Videos von Live-Adoptionen und TV-Familienzusammenführungen, die fremdschämen lassen. Am Ende ist nichts eindeutig: Weder in Seoul noch in der eigenen DNA findet Miriam Stein die Wahrheit übers Ich, und man muss beinahe glauben, dass es gar keine Wahrheit gibt. „Black Tie“ bleibt in so vielen Fragen uneindeutig – damit lässt es jede Menge Platz zum Grübeln.


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