Von Stefan Kaegi
/
Das größte Freilicht-Theater Südamerikas wird jedes Wochenende in Buenos Aires aufgeführt. "Das heilige Land" ist bis Mitternacht geöffnet. Reisebusse für Gruppen finden unter Plastik-Palmen mit Lautsprechern einen kühlen Parkplatz. Schon die Frau an der Kasse und das Putzpersonal sind mit Tüchern und Sandalen verkleidet.
20 Pesos kostet der Eintritt. Für 5 Euro ins gelobte Land. Für Pensionierte gibt es Ermäßigung. Eine Seniorengruppe drängelt sich vor mir durchs Drehkreuz. Sie kommt einige hundert Kilometer weit her. Aber nach einfachen Pilgern sehen sie nicht aus: Foto- und Videokameras statt Rosenkränze hängen ihnen um den Hals. Oh Publikum!
Die "Tierra Santa" von Argentinien ist keine Bühnenshow sondern erstreckt sich über eine Fläche von 4-5 Fußballfeldern. Seit der Eröffnung 1999 kamen mehr als 2 Mio. Besucher in den Bibelpark. Auf der Suche nach religiöser Erfahrung haben sie vor allem eins gefunden: Theater.
Kaum durch die "Grotte der Wunder" getreten liegt vor uns der Ölberg. Eine Mischung aus Beton und falschem Gestein. Historisch dekoriert und bemalt. Darauf stehen grimmige Römer und andere Ungläubige als lebensgroße Puppen. Der Ölberg ist entweder über die rollstuhltaugliche Rampe befahrbar oder über 20 Meter hohe Treppen zu erklettern. Oh Bühnenbild!
Vor der Treppe verkauft eine etwas trostlose Araberin Postkarten. An ihrem Stand hängen auch Holzschilder mit zackig eingeritzter Asterix-Schrift: "Gratisverleihung von Kameras. Wir entwickeln Filme in 30 Minuten". Und jetzt sehe ich auch schon das zentrale Fotomotiv: Als tatsächliches Wunder steigt aus dem Ölberg ein riesiger Jesus auf. Gekleidet ist er in ein Tuch in der argentinischen Nationalfarbe Hellblau. Als das Kleid ganz ausgefahren ist, steht Jesus 15 Meter hoch über dem Berg, doch er wächst noch weiter. Langsam und wacklig schiebt die Bühnenmaschinerie den Sohn Gottes gegen den Himmel.
Ich fokussiere und will abdrücken, da ertönt hinter dem Ölberg ein ohrenbetäubendes Grollen. Nur wenige Meter über den Heiligenschein des bärtigen Religionsstifters düst eine Boeing der Aerolineas Argentinas. Der thematische Park wurde direkt neben den Stadtflughafen gebaut. Die Einflugschneise liegt genau über Bethlehem und Nazareth – als wollten uns die Piloten im 5-Minuten-Takt beweisen, dass im 21. Jh. nach Christus die Technik über die Welt der Prophezeiungen und Wunder gesiegt hat. Oh Pyrotechnik!
Jesus sinkt wieder ab. Auferstehungen kommen und gehen hier im Halbstunden-Takt. Das Flugzeug hat sich zurecht zwischen mich und den Gekreuzigten gedrängt, denn die Auferstehung kommt bekanntlich erst im letzten Akt. Vorher muss ich mich in eine Warteschlange vor dem Schild "Zur Krippe" stellen. Die Schlange ist wie am Flughafen in Schlaufen unterteilt. Ich werde gemeinsam mit der nächsten Schulklasse in den Berg gelassen.
Der Weg in den heiligen Stall führt erst einmal durch das alte Testament: Die vorchristliche Zeit ist ein finsterer Tunnel. Abraham, Isaak und die Propheten haben nur wenig Licht, selbst das Paradies mit Adam und Eva wirkt wie eine Opiumhöhle neben einem der vielen Notausgangsschilder. Die Schulklasse nützt die Finsternis für erstaunliche Laute, die nicht nach Erleuchtungsrufen sondern eher nach Knutschen und Kneifen klingen. Oh Pubertät!
Die Dunkelheit erklärt sich 20 Meter weiter: Wir kommen in eine weihrauchgeschwängerten Höhle. Nach meiner Schätzung müssten wir uns jetzt genau unter dem mechanischen Jesus befinden. Hier funkelt der Prophezeiungs-Engel und wir setzen uns in einem Zuschauerraum mit 200 Plätzen.
Die Geburt Jesu ist eine Light-Show: Auf den Stern von Bethlehem als Gobo-Scheibe folgt ein Spot auf die Schafe: Eher Rock-Konzert als Bob Wilson. Es werde Laser. Dazu Geblök vom Band und eine überartikulierte Stimme. "Es begab sich also zu dieser Zeit...". Der Lautsprecher knattert. Nach und nach legen Moving Lights die vielfältigen Hauptdarsteller der Bibel als Pappfiguren aus den schattigen Höhlenecken frei. Am höchsten schlägt mein Theaterherz beim Aufzug der 3 Könige: Offenbar war der Kniefall mechanisch zu anspruchsvoll. Stattdessen wird ein einfaches Hebepodest rhythmisch auf und ab bewegt. Und siehe da: Die Könige gehen gleich mehrfach in die Knie vor dem Christkind. Oh Bühnenmechanik!
Nach diesem Maschinen-Theater – irgendwo zwischen Bauhaus-Puppen und Heiner Goebbels – geht das eigentliche Rollenspiel los: Ein Reiseführer in Mönchskutte mit Megaphon holt uns aus unserer platonischen Höhle und führt auf den "Platz des Glaubens" - eine Art Marktplatz. Hier bieten einige Dutzend Souvenirverkäufer in historischen Kostümen alles was das fromme Herz begehrt: Heilig-Land-Kugelschreiber, Jesus-Schlüsselanhänger und Kreuze in allen Formaten von Wandbehang bis Bücherständer. Daneben werden von historischen Arabern im "Damaskus-Zelt" Shawarmas angeboten. Argentinische Kinder, die mit der Küche des mittleren Ostens nicht vertraut sind, ziehen die Hamburger des Beduinen nebenan vor.
"Hier", so der Mönch, "haben Sie 10 Minuten Pause, bevor wir Jesus auf seinem Leidensweg zum Abendmahl folgen". Darauf hin steckt sich der Führer in Mönchskutte eine Zigarette an - offensichtlich nicht gewillt, weiter den Heiligen zu spielen. So flink sieht man nur im belgischen Theater die Performer zwischen Rolle und sich selbst changieren. Dabei müssen die Angestellten des Bibelparks vor Antritt ihrer Stelle eine Glaubensprüfung bestehen.
Die Schulklasse nimmt ihm die Zigarette nicht übel, die Teenies sind längst dabei, einen knienden Sünder aus Pappmaché fürs Gruppenbild mit Baseballmütze und Lippenstift aufzumotzen. Grad ist keine Security in der Nähe.
Mir dauert die Pause zu lang. Ich gehe schon mal weiter zu Lazarus. Der ist ganz weiß. Im Übergang zwischen lahm und erleuchtet ist er eingefroren. Ein bisschen Dungeon-Grusel kommt auf. Da höre ich hinter mir einen Dreikäsehoch sagen: "Mami, warum bewegt sich der nicht?" - Gut gefragt. Aber es kommt noch besser: "Mami, wo ist Gott?" - Tatsächlich, auf die Idee war ich gar nicht gekommen. Gut 100 Performer wimmeln in dieser Stadt aus Pappe und Staub unter dem Jet-Stream der Flugzeuge - aber kein einziger Gott. Stattdessen: Mutter Theresa, Papst Johannes Paul (ob’s Ratzinger dahin auch mal schafft, muss sich erst zeigen), Franz von Assisi und einige Figuren ohne Gesicht, was den Vorteil hat, dass sich Touristen hineinstellen und fotografieren lassen können. In einer Höhle ist der Oberkörper Jesus’ in falschen Stein gehauen und vorwiegend Schulmädchen legen sich in seinen überdimensionalen Arm. Hier ist Rauchen verboten - Kerzen sind erlaubt, kosten aber einen Peso. Nur Gott und der Teufel fehlen.
Außer Krippenspiel (12 Min.) und Abendmahl (5 Min.) wird noch geboten: Die Schöpfung (20 Min. im 3d-Kino), die Auferstehung (8min) und ein "Show Musical" (30 Min,).
Selten war die Absenz eines metaphysischen Zeichens so spürbar wie in diesem Disneyland der Symbole. Das Theater der Bibel hat sich ganz dem Diesseits zugewandt. Oh Performance!
Zurück auf dem Platz des Glaubens sind die Händler in die Souvenirstände verschwunden. Jetzt gibt’s Bauchtanz mit Publikumsbeteiligung. Eine Art Tanz um das goldene Kalb als Mitmachtheater. Direkt vor der Klagemauer: Eine geschickt inszenierte Schallschutzwand, die den Park vom Flughafen trennt,
und an der die Besucher auch Wünsche deponieren dürfen.
Wesentlich unverstellter geht das Wünschen im bolivianischen Viertel der Stadt: In der Kirche des San Cayetano beten dort die vorwiegend indianischen Einwanderer darum, dass San Cayetano, der Schutzpatron der Berufstätigen, ihnen Arbeit geben möge. Ganze Schränke voll herzbewegender Briefe an den Heiligen haben die Gläubigen dort hinterlassen.
Dagegen ist "Tierra Santa" Pop: Glanz, Oberfläche und Musik. Und doch ist die Quintessenz des großen Freilufttheaters "Tierra Santa" politisch aktuell: Das heilige Land ist unter Kontrolle von Security, hat überall Notausgänge und die Drecksarbeit wird von den Arabern erledigt. Am Ausgang gibt’s keinen Applaus sondern nur ein Erinnerungsfoto mit dem Beduinen des Vertrauens. Auf Wunsch signiert er sein Bild. Nicht mit "dein Jesus", aber mit lieben Wünschen an die Enkelkinder. Halleluja.