Von Bernward Althoff
28.06.2002 / Kölnische Rundschau, Bonner Rundschau
Bonn. "Kollege Hasenfratz, gestatten Sie eine Zwischenfrage," schallt es durchs hohe Haus. Kollege Hasenfratz gestattet. Der SPD-Bundestagsabgeordnete hätte sich freilich gestern Mittag die Augen gerieben, wenn er sein Alter Ego in der Schauspielhalle Beuel gesehen hätte: Es war die Angestellte Bärbel Mosebach, die ihre Stimme dem SPD-Kämpen lieh.
"Ich habe keine Ahnung, wer er ist, aber seinen Namen finde ich super lustig, ich möchte ihn mal für einen Tag tragen", bekannte die Wahl-Bonnerin im Vorfeld des Theaterprojekts "Deutschland2", das gestern als Live-Kopie der gleichzeitig im Berliner Reichstag stattfindenden Bundestagsdebatte über die Bühne ging.
230 Bürger - pensionierte Offiziere, Pädagogen, PR-Freaks, Köche oder Studenten - liehen ihre Stimmen einem oder mehreren Bundestagsrednern, deren Beiträge den Laien-Parlamentariern im fernen Bonn über Kopfhörer souffliert wurden. Ein Gag? Ein Klamauk? Mitnichten, das war ausgemacht gutes Theater, getragen vom vierköpfigen Regie-Kollektiv des "Rimini Protokolls".
Ein schlechtes "Theaterstück" war dem Projekt vorangestellt worden. Eigentlich sollte die Kopie-Debatte im Plenarsaal des ehemaligen Bundestages stattfinden, doch das fand Bundestagspräsident Wolfgang Thierse der Würde des hohen Hauses abträglich.
Generalintendant Manfred Beilharz fand das wiederum nicht und überließ den Projektmachern die Schauspielhalle Beuel als Ersatz-Parlament. So stritten und bramarbasierten Bärbel Mosebach alias Walter Hasenfratz, der Hamburger Philosophieprofessor Werner Diederich alias Volker Rühe (CDU) oder die Lehrerin Lilo Fischer alias Marie-Luise Beck (Bündnis 90/Die Grünen) im schlichten Klinkerbau statt im luftigen Behnisch-Saal.
Die "Kopisten" machten ihre Sache ebenso gut wie die Originale, und diese Austauschbarkeit der Argumente wie Personen musste nachdenklich stimmen. Phrasen, verbale Versatzstücke - "Links blinken, rechts abbiegen" ("Höh, Höh, Höh" tönt's aus der PDS-Ecke) - "Wir haben immer den Wettbewerb gesucht" (wer wollte ihn nicht suchen?) - "Wo bleiben die Alternativen der Opposition?" usw.
"Kommen Sie zum Ende", möchte man allen zurufen, und Bert Brechts Gedicht zum 17. Juni 1953 kommt einem in den Sinn - leicht variiert für den 27. Juni 2002: "Wäre es da nicht besser, das Volk löste seine Volksvertreter auf und wählte sich neue?" Wir tun's am 22. September.