Von Ekkehard Böhm
10.10.2008 / Hannoversche Allgemeine Zeitung
Am Anfang des Nachrichtenjournalismus stand Aischylos mit seinem Drama „Die Perser“, einem Bericht vom Scheitern der persischen Übermacht im krieg gegen die Griechen 480 v. Chr. Zuerst ist da die Sprache, die auf der Bühne in Bilder umgesetzt wird. Was ist daraus geworden? Am Anfang von „Breaking News“ sieht man die Front eines Berliner Häuserblocks, auf fast jedem Balkon steht eine Satellitenantenne. Mittels dieser Antennen ergießt sich eine Bilderflut über die Fernsehgeräte, sie kommt von deutschen und französischen Sendern, isländischen und russischen, von Al Jazeera oder von CNN.
„Breaking News“ kommt von Rimini Protokoll und ist eine Produktion mehrerer deutscher Theater, darunter das hannoversche Staatsschauspiel. Jetzt war in Hannover Premiere im Ballhof 1. Man zögert, diese Arbeit von Helgard Haug und Daniel Wetzel ein Theaterstück zu nennen. Bühnenstücke beruhen auf einem festen Text, selbst wenn dieser im Regietheater nur als Steinbruch benutzt wird. „Breaking News“ aber muss jeden Abend neu erfunden werden. Im Programmheft ist ein Textauszug einer Frankfurter Inszenierung zu sehen; sie hat kam Ähnlichkeit mit der hannoverschen. Und wenn das Stück heute im Ballhof 1 wieder aufgeführt wird, wird es anders aussehen als bei der Premiere.
Es beginnt um 19.30 Uhr, eine halbe Stunde vor der Tagesschau, die dann live zusammen mit vorher aufgenommenen Mitschnitten, über eines der vielen aufgestellten Fernsehgeräte gehen wird. Auf der Bühne agieren, wie bei Rimini Protokoll üblich, keine Schauspieler. Hier sind es die Leute, die den Nachrichtenfluss sichten, filtern und bewerten: Journalisten, eine Dolmetscherin, eine Cutterin. Ein Agenturjournalist (Andreas Osterhaus) lässt als Oberzapper von Sender zu Sender springen. Andere als Journalisten würden die Aufgabe, anhand der aktuellen Nachrichtenlage zu improvisieren, wohl auch kaum bewältigen können.
Zu sehen ist, was am nächsten Tag auch in der Zeitung stehen wird: die Bankenkrise in Island (mit dem isländischen Journalisten Símon Birgisson ist dafür der rechte Mann gefunden), der Auftritt des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew in Lyon, der Flugzeugabsturz in Neapel. Das Ergebnis ist eine Kakofonie. Von Pakistan aus sieht die Welt völlig anders aus als von Deutschland, und wenn es in Beirut eine Schießerei gibt, wird sie in Island erst interessant, wenn davon eine isländische Reisegruppe betroffen wird. Aus der vermeintlichen Objektivität der Bilder wird so eine Fiktion der Welt, was der Journalist und „Tagesschau“-Kritiker Walter van Rossum mit ätzender Schärfe aufspießt.
Das Medium Fernsehen kann sich seine eigene Realität schaffen: Eine Begegnung kurdischer Politiker mit Präsident Georg W. Bush wird in ein vorgestanztes Regelwerk gepresst, und als die Amerikaner einst in Somalia landeten, war dies eine theatralische Inszenierung. Wie sagt doch Marshall McLuhan? „Das Medium transportiert keinen Inhalt, es ist selbst die Botschaft.“ Der technische Aufwand dafür ist freilich ein gewaltiger – auch für diesen Abend im Ballhof. Aischylos hatte es noch einfacher.