„Feast of Fools“ in Gaasbeek zeigt Bruegels Nachhall in der Moderne

Von Ralf Stiftel

21.05.2019 / www.wa.de

Man fühlt sich in eine surreale Welt versetzt, sobald man die Virtual-Reality-Brille trägt. Langsam gleitet man durch eine Fabrik, zwischen zwei Fließbändern durch, an denen Menschen mit Schürzen und Hauben Fleisch zerlegen. Ein unermüdliches Hacken und Säbeln durch rotes Muskelgewebe, bleiche Knochen.

Fünf Gemälde von Pieter Bruegel hat das Künstler- und Performance-Kollektiv Rimini Protokoll für seine Installation „Feast of Food“ in Filme übersetzt, die den hochtechnisierten Umgang der modernen Gesellschaft mit Nahrungsmitteln demonstrieren. Das so unblutige, nüchterne Zerlegevideo zeigt, was aus den Tieren wird, die der flämische Maler in seinem Gemälde „Die Heimkehr der Herde“ (1565) zeigte. Zur „Bauernhochzeit“ (1566) führen die Künstler den Betrachter in eine Abfüllfabrik für Chips in die Schweiz. Statt auf eine fröhliche Festgesellschaft blickt man auf eine sterile Choreografie glitzernder Plastiktüten.

Die Installation ist in der Ausstellung „Feast of Fools“ (Narrenfest) auf Schloss Gaasbeek bei Brüssel zu sehen. Museumsdirektor Luc Vanackere versucht, eine Balance zwischen ambitionierten Kunstausstellungen und der Präsentation des historischen Gebäudes zu halten. Für die aktuelle Schau profitiert er davon, dass Flandern gerade den erzflämischen Maler Bruegel feiert. So kann Vanackere mit hochkarätigen Leihgaben die Nachwirkung des Meisters in der Moderne bis in die Gegenwart dokumentieren.

Das wird in den Räumen des aus dem 16. Jahrhundert stammenden Schlosses zum spannenden Erlebnis mit Arbeiten von Gegenwartskünstlern wie Panamarenko und Mario Merz, aber auch mit Meisterwerken der klassischen Moderne zum Beispiel von James Ensor, George Grosz, Otto Dix, dem Fotografen August Sander, dessen Foto eines säenden Bauers (1952) direkt aus einer Tafel des flämischen Meisters entsprungen sein könnte. Schon im 19. Jahrhundert hatte Ensor mit seinen grotesken Karnevalsszenen mit Maskierten und Skeletten, mit Kompositionen, die geradezu überquellen von einer Überfülle von Figuren, die Motive Bruegels fortgeschrieben.

Vanackere und seine Mitkuratorin Lieze Eneman sehen in Bruegel einen radikalen Neuerer, der vor allem das Leben der einfachen Leute in den Blick rückte. Ein Perspektivwechsel von biblischen oder historischen Szenen, vom Treiben der Fürsten hin zum Alltag. Sie setzen mit der legendären Ausstellung der „Flämischen Primitiven“ 1902 in Brügge ein, bei der Belgien neben den mittelalterlichen Meistern wie van Eyck, van der Weyden, Memling auch Bruegel neu entdeckten und wertschätzten. Die Moderne in Belgien begann geradezu mit Kopien. Gustave van de Woestyne malte seinen „Schlechten Säer“ (1908) auf Goldgrund, und die Physiognomien seiner Bauernporträts wie „Die Antwort“ (1911) wirken wie Ausschnitte aus den ikonischen Gemälden Bruegels. Und ob nun Anto Carte 1924 „Blinde“ malte oder ob Valerius de Saedeleer Landschaften mit niedrigem Horizont, einfachen Bauernhöfen und verstreuten Bäumen darstellt, stets ist das übermächtige Vorbild gegenwärtig. Und das bleibt so bis tief ins 20. Jahrhundert.

Schon das ist überaus sehenswert, wie unterschiedlich die Künstler sich inspirieren ließen, sei es in den Landschaften, die Otto Dix in der inneren Emigration in der Nazizeit malte, sei es in lebenslustigen Großformaten wie dem „Karneval“ (1952) von Jean Brusselmans. Und auch das auf Stein- und Glasplatten ausgebreitete Gemüse in Mario Merz’ Installation im Innenhof des Schlosses greift den Überfluss der Bauernfeste bei Bruegel auf. Die Arbeit war 1986 für Jan Hoets legendäre Genter Ausstellung „Chambres d’amies“ mit Kunst in Privaträumen geschaffen worden.

Aber die Schau spürt den prägenden Einflüssen des großen Meisters auch in anderen Medien nach, zeigt in einem Kabinett Kinofilme mit ländlichen Szenen – man nahm ja Bruegel ganz wörtlich als Realisten. Spannend ein Raum mit einer Hörstation, in der man den Spuren des Malers in der Musik nachlauschen kann. Da gibt es die Oper „Le Grand Macabre“ von György Ligeti ebenso wie das Chanson „La Bière“ von Jacques Brel.

27 Künstler schufen eigens Arbeiten für die Ausstellung oder steuerten Werke bei mit Bruegel-Bezug. So stellt Grazia Toderi in der Fotoarbeit „Red Babel“, der nächtlichen Skyline einer Großstadt, den Turm von Babel auf den Kopf. Und der aus Kamerun stammende documenta-Teilnehmer Pascale Marthine Tayou schuf als Reaktion auf Bruegels berühmte Darstellung von Kinderspielen gläserne Figuren, die wie ethnologische Kultobjekte gestaltet sind und nun die historischen Möbel des Schlosses bevölkern.

Die Künstlerinnen Anetta Mona Chisa und Lucia Tkacova schufen ein fragiles Gebilde aus Tierknochen, das wie eine fraktale Bilderfindung eines Algorithmus‘ wirkt. Aber die Arbeit greift auch ein berühmtes Bildmotiv auf, die großen Fische fressen die kleinen. Und obwohl Bruegels Stich von 1557 ein eher moralisches Thema formuliert, gibt es doch die Verwandtschaft, weil sich schon da Muster gleichsam unendlich wiederholen.

Ein anderes Motiv des Meisters, die Gier nach dem Materiellen, greift Leo Copers in seiner raumfüllenden Installation „L‘Art corrompt l‘Argent“ auf. Es ist eine Art Andachtsraum, eine Kapelle, in der ein Schild den Besucher um respektvolle Stille bittet wie sonst in Kirchen. Auf dem Boden sind (nachgemachte) Goldbarren ausgebreitet. Der Reichtum selbst wird zum Anbetungsobjekt dieser leise zynischen Arbeit.

Eine überaus abwechslungsreiche Hommage mit einem überzeugenden Erzählrhythmus.


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Feast of Food