Experten des Alltags

Zigtausende Tischtennisbällen fallen vom Bühnenhimmel. Die Fluglinie Sabena gibt es seit 2001 nicht mehr. Aber ihre firmeneigene Tischtennismannschaft existiert immer noch. Die Sabena-Familie spielt weiter zusammen.

Von Birgit Schmalmack

23.08.2004 / www.hamburgtheater.de


Die Fluglinie wurde ursprünglich vom belgischen Staat gegründet, um seine Kolonialgebiete in Afrika ungehindert anfliegen zu können. Sie entwickelte sich zum Symbol für Fortschritt und Wohlstand. Sie galt den 12000 Angestellten als Hort der Zuverlässigkeit, Beständigkeit und Sicherheit. Bis 2001, als sie unerwartet für alle Betroffenen Konkurs anmelden musste. Die "Sabenation" stand von einem Moment auf den nächsten überraschend auf der Straße. Gewohnt sich in den sicheren Schoß einer Staatsfirma zu begeben, fiel den meisten die Umstellung zur totalen Eigenverantwortlichkeit schwer.


Zweieinhalb Jahren nach dem Zusammenbruch forscht die Theaterprojektgruppe "Rimini Protokoll" der Entwicklung ehemaliger Angestellter nach. Sie findet einen Arbeitslosen, der bereits an die zweihundert Bewerbungen abgeschickt hat. Eine Stewardess, die Kurse für die erfolgreiche Bewerbung anbietet. Einen Piloten, der nur noch Modellflugzeuge in den Himmel befördert. Einen Sicherheitsmann, der beim Amt für Inneres arbeitet. Einen Flugguide, der mit der Tablettenproduktion von Anti-Depressiva beschäftigt ist. Und einen Mann des Cateringpersonals, der in Brüssel als Maskottchen verkleidet für Touristenfotos zur Verfügung steht.


Wie gewohnt erklären die Theaterkünstler Helgard Haug, Daniel Wetzel und Stefan Kaegi die Darstellung der Realität zur wahrhaftigen Kunstform und stellen Experten des Alltags auf die Bühne. Die Selbst-Darsteller transportieren die rekonstruierte Wirklichkeit auf die riesige, fast leere Bühnenfläche der K2 auf Kampnagel. Wenige markante Gegenstände wirken wie kleine Zitate aus ihrem Leben. Neben eingespielten Film-und Fotoaufnahmen von weiteren Zeugen des Sabena-Niedergangs reichen die Sabena-Kleidung, die Ping-Pong-bälle und Uniform der Sabena-Tischtennismannschaft, aus Gurken geschnitzte Modelle des Airbus, ein Windgebläse und Flugzeugsessel um die Einzelnen zu charakterisieren. Die Eintönigkeit des Arbeitslosen, die ironisierende Gelassenheit des Modellpiloten, die überdrehte Heiterkeit des Glückspillendrehers, die gebräunte Souveränität der Bewerbungstrainerin, die Sprachlosigkeit des Foto-Objektes - all das zeigt Rimini Protokoll unpathetisch und mit ernsthaftem Interesse für ihre Experten des alltäglichen Lebens.


Birgit Schmalmack vom 23.8.04

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