Von Frank Zimmermann
22.05.2005 / Der Sonntag
Wenn Stefan Kaegi Theater macht, dann ist das - wenn man es überhaupt als Theater bezeichnen möchte - nie konventionelles Theater. Kaegi, 1972 in Solothurn geborener Hörspielautor, Performer und Regisseur, reist für seine ausgefallenen Projekteum die Welt (deshalb lebt er seit dreieinhalb Jahren aus dem Koffer). Dabei arbeitet er fast nie Schauspielern, sondern mit "Experten", die in seinen Projekten das tun und sind, was sie auch im wirklichen Leben sind und tun. "Mich interessiert vor allem, was die Menschen sind, und nicht so sehr, wie gut sie etwas können", sagt der Feldforscher Kaegi, für den die Schauspielausbildung "ein richtiger Kunstversperrer" ist. Kaegi versucht, das Theater mit realen gesellschaftlichen V orgängen zu verknüpfen. Dabei meidet er "abgeschottete Probenräume, wohin man sich zurückzieht, um einem Theatertext aus dem 17. Jahrhundert irgendeinen zeitgemäßen Atem einzueinzuhauchen".
Über den Balkan
Im argentinischen Cordoba stellte er für "Torero Potero" drei arbeitslose Pförtner, die sich auf die Stellenanzeige "Theater sucht Pförtner" gemeldet hatten, auf die Straße und ließ sie im Passanten strom aus ihrem Leben vor den Türen der Schönen und Reichen erzählen, während das Publikum hinter dem Schaufenster eines Ladens saß. In Brasilien inszenierte er eine Busreise durch die Slums, in Krakau eine Schnitzeljagd, bei der Besucher zu Beginn Regieanweisungen und eine Telefonnummer für den Notfall an die Hand bekamen. Für das Wien er Projekt "Schwarzenbergplatz" stellte er einem Chauffeur im diplomatischen Dienst einen ehemaligen Botschafter gegenüber, und bei "Call Cutta. Mobile Phone Theatre" wurden die Zuschauer per Handy auf einer Erkundungstour durch Berlin begleitet, wobei die mitwirkenden Call-Center-Mitarbeiter im fernen Indien saßen. Als nächstes plant der Nomade Kaegi mit Truckern in einem umgebauten Lastwagen, der Wohn- und Spielstätte zugleich ist, eine Tour über den Balkan.
Übermorgen hat nun Kaegis erstes Basler Projekt, ein "ländlieher Modellversuch" mit dem Titel "Mnemopark", im Foyer des Theaters Premiere. Die Bühne ist eine riesige, begehbare Modelleisenbahnanlage: eine Miniaturwelt, bestehend aus eins zu eins nachgebauten Schweizer Bergen, Wäldern, Wiesen und Hüsli, in der ein lebendes Huhn im Käfig sitzt und gackert. In der
Lok ist eine Minikamera installiert, eine andere f1lmt das Geschehen von außen, zusätzlich bedienen die Hauptdarsteller eine Handkamera und agieren in einem Green Screen. Der Zuschauer kann aus verschiedenen Perspektiven sowohl den Entstehungsprozess des Films - die in der Miniaturwelt und vor der Leinwand agierenden und simulierenden Darsteller -, als auch die aufgenommenen Bilder (Video: Jeanne Rüfenacht), die durch Filmsequenzen ergänzt werden, auf einer großen Leinwand anschauen.
Die Darsteller sind - wie immer bei Kaegi - Spezialisten:Die vier Modelleisenbahner Max Kurrus, Hermann Löhle, Heidy Ludewig und Rene Mühlethaler sind allesamt Mitglieder der Basler Modulbau-Freunde; es versteht sich von selbst, dass das Bühnenbild zu "Mnemopark" von ihnen selbst stammt. Den Kreis der Mitwirkenden komplettieren der Sound-Spezialist Niki Neecke, dessen live-Vertonungen den Abend begleiten, und die Schauspielerin Rahel Hubacher. Sie ist eine Art Bahn~ hofsvorsteherin im Hintergrund, achtet auf die Einhaltung des Fahrplans, hält auf liebenswertherzige Art die Fäden in der Hand, ohne sich in den Vordergrund zu spielen.
"Mnemopark" ist ein vielschichtiges, auf mehreren Ebenen funktionierendes Werk: eine Mischung aus Film und Theaterstück, Realität und Fiktion, Schein und Sein ("Die Kühe glänzen in echt nicht so sehr", urteilt die Bauerstochter Hubaeher über die Modellkühe).
Bagger im Kuhstall
Es ist zum einen ein Dokumentarfilm über die Schweizer Landwirtschaft. Hubacher, die als Tochter eines Landwirts, in dessen Kuhstall heute Lastwagen und Bagger zum Vermieten stehen, einiges zum Thema zu sagen hat, und die vier Modelleisenbahner befassen sich auf liebevoll-humorige, teils verschrobene Art mit der Stellung der Schweizer Bauern. Die sind für die Eidgenossen trotz jährlicher Subventionen in Höhe von 9,7 Milliarden Franken eine Art heilige Kuh. Dem zum Trotz stimmt Kaegi einen kleinen Abgesang auf die eidgenössische Bauernwelt an. Sein Blick ist unverstellt und wenig romantisierend: Will man Kühe mit Rieseneutern, die nach katalogisierten Besamungsprinzipien gezüchtet werden? Droht die "Finnlandisierung" (sprich die Verwaldung) der Schweiz für den Fall, dass die Bauern tatsächlich aus der Landschaft verschwinden?
Daneben hat Kaegi eine fiktive Ebene eingebaut, die zeigt, wie der indische BollywoodKitsch-Film (gezeigt werden ein paar wunderbare Ausschnitte) die schöne Schweizer Bergwelt als Film-Kulisse verwendet.
"Mnemopark" ist aber auch ein persönliches Porträt von leidenschaftlichen Modelleisenbahnern und ihrer Arbeit. Sie singen und erzählen aus ihrem Leben: von Flucht und Kriegsangst, von der Familie und von Freunden und - sehr ehrlich und nicht ohne Stolz - von der Kunst ihres Hobbys, die mit dem Wunsch verbunden ist, die reale Welt haargenau en miniature a bzubilden.
"Mnemopark" ist ein spaßiges Film- Theater-Projekt mit geseIlschaftskritischem Impetus. Auch und gerade wegen der Bereitschaft der Darsteller, sich beim Eintauchen in ihren privaten biografischen Erinnerungspark zuschauen zu lassen. Und wegen ihrer spürbaren Lust, ihr verspieltes Hobby auf spielerische und authentische Art darzustellen. "Ich freue mich immer, wenn im Theater etwas geschieht, das so nicht vorgesehen war", sagt Kaegi. In der Tat sind es gerade die Momente der Spontaneität, in denen die Mitwirkenden zum Improvisieren gezwungen sind, weil entweder ein Zug entgleist oder in der Aufregung einer seinen Text vergisst, die diesen humorvollen Abend sehenswert machen.
Stefan Kaegi sucht stets "Spezialisten" für seine Projekte.
Mnemopark: Premiere am 24. Mai, 20 Uhr, Theater Basel, Foyer. Weitere Aufführungen: 28. Mai, 1.,8.,10.,13. und 21. Juni,