Eine ganze Stadt schillert

Vorsicht Freiheit! Die 13. Internationalen Schillertage in Mannheim

Von Ralf-Carl Langhals

08.06.2005 / Die Welt

Mannheim eine autonome Zone des freien Willens, Elysium der Musen, zwangfreier Raum, Insel der Glückseligkeit? Das Motto "Vorsicht Freiheit!" der 13. Schillertage ist viel versprechend - aber irreführend. Gelebte Anarchie an Rhein und Neckar ist auch hier nur im Traume möglich, Strafzettel und Steuerbescheide behalten weiterhin Gültigkeit.

Blasse Dramaturgen lehnen an Foyerwänden, erschöpfte Stipendiaten ruhen auf Wiesen um die Räuber-Uraufführungsbühne, mit übermüdeten Gesichtern hetzt das Team um Schauspieldirektor Jens-Daniel Herzog durchs Stadtgebiet: Die Mühe lohnt, das Programm, auf Spielstätten in der ganzen Stadt verstreut, überzeugt, ist international und hochkarätig.

Mit drei gewichtigen Eigenproduktionen spurtet die Schillerbühne neun Tage lang im Wettlauf um die Krone neuzeitlicher Klassikerpflege in schillernden deutschen Landen.

Regiealtmeister Thomas Langhoff inszenierte zum Auftakt "Wilhelm Tell" - und überrascht wenig. Gejodelt wird nicht, aber viel gesungen auf den dreieckigen Schoko-Bergen seiner Bilderbuchschweiz. Politisch juckt ihn nichts am Tell, vielmehr erzählt er gewohnt solide eine Geschichte persönlicher Notlagen und tappt zwischen hehrem Feiertagstheater und biederem Brecht-Realismus nicht selten in die Kitschfalle. Ratlos läßt er seine Schweizer im Alpenglühn auf Toblerone wie der errungenen Freiheit sitzen. Es ist die einzige Ironie des Abends.

Hörbar herrlich dösen ließ es sich bei Reinhild Hoffmanns musikalisch-choreographischem Team-Projekt "Das Mädchen aus der Fremde" im Mannheimer Opernhaus. Vierzig Minuten hört man kaum keinen Ton, aber das sonore Schnarchen der Premierenabonnenten, die unter der Kopflast der legendären Choreographin sowie Isabel Mundry und Brice Pauset sanft entschlummerten. Zu zwei späten Gedichten Schillers gab man sich tänzerisch wie musikalisch bezugslos und aseptisch. Neue Wege zu gehen ist eben nicht immer spannend, und so übergab man sich dem wohltuenden Schiller-Verdauungsschlaf: Oggersheim lieferte zuvor Schiller-Bier. Und ein Mannheimer Metzger brät die Schillerwurst, die auch als trashige Musicalparodie im Hinterhof einer Mannheimer Off-Bühne über die Bühne geht. Für Bewegung der 100 Künstler aus 13 Nationen zwischen Gastfamilien und Bühnen sorgen Fahrräder mit Namen wie "Posa" oder "Luise". "Schillergirls", früher Hostessen, leiten Ortsunkundige durch Spielorte und Veranstaltungsablauf.

In zwei Stunden "Wallenstein" fallen nicht mehr als 50 Zeilen Schillertext. Gerade deshalb gereicht es Schiller zu Ehre, was sich Helgard Haug und Daniel Wetzel, zwei Künstler der Gruppe "Rimini Protokoll", zur berühmten Trilogie ausgedacht haben mit ihrem Werkstattprojekt aus Lebenszeugnissen von Soldaten, Mächtigen und Gescheiterten; allesamt Laiendarsteller. Sie suchten an den Stätten ihrer Koproduktion der Nationaltheater Mannheim und Weimar Entsprechungen aus heutiger Zeit. Und fanden "Experten für Wirklichkeit" etwa in Ralf Kirsten, dem Chef der Weimarer Polizeidirektion, der sich zu DDR-Zeiten durch Liebe zu einer Ausreisewilligen Ost- wie West-Karriere versaute. Oder im Mannheimer Richter und Stadtrat Sven-Joachim Otto. Nun ist ein Kommunalpolitiker kein kaiserlicher Generalissimus und der Mannheimer OB-Wahlkampf kein Dreißigjähriger Krieg. Aber ewige Fragen werden gestellt: Wie sind die Spielregeln des Erfolgs? Wann ist der Mächtige machtlos? Wie wird der Täter zum Opfer? - In Wallensteins Lager marschieren, singen und stampfen Vietnam-Veteranen und Antikriegsaktivisten, ehemalige Zeitsoldaten und der Luftwaffenhelfer Robert Helfert, nicht nach Schillers Metrik, sondern im Takt ihrer Kriegserinnerungen zwischen Mannheimer Ruinen und Vietcong. Die Qualität des singulär originellen Unternehmens auf der Neckarauer Probebühne ist überwältigend. Eine Drehscheibe mit Klapptüren (Ausstattung: Judith Kehrle) als Karussell um politische Kabale und menschliche Einzelschicksale. Alle erzählen sie ihre Geschichte, einfach so, mit natürlichem Charme, eigener Sprache und souverän in ihrer laienhaften Unsicherheit. Faszinierend ist, daß keiner dieser Menschendarsteller auf Kosten etwa originalitätssüchtiger Projektkunst denunziert wird, nicht der schwäbelnde Schillerfan namens Gassner, nicht der Politiker Otto. Man scheint ehrlich mit den Peinlichkeiten menschlichen Strebens umgehen zu wollen. Und so erzählt Otto vom Dasein als Verlegenheitskandidat, von politisch korrekten Lieblingsgerichten, vom geliehenen Familienhund zu PR-Zwecken und - mit dramatischem Impetus - vom Moment des "Verrats", mit Humor und schonungslos. Wird hier ein Polit-Saulus zum Theater-Paulus? Wir wissen es nicht. Was bleibt, ist kluges Theater mit toller Ensembleleistung.

Ähnliches versucht im Werk- stattformat das Jugendtheater Schnawwl mit Regisseur Kristo Sagor im fiktiven Reich der Roboter zum Thema Tell; floppt aber mit banalem Multimediaquatsch, während die Berliner Truppe "lunatiks" mit bravourösen Installationen zur Mannheimer Kriminalgeschichte Schillers "Die Polizey - Physiognomie der Angst" nachspürt. Wer schon immer mal in einem Polizeifahrzeug sitzen wollte, hat hier Gelegenheit, an ungewöhnlichen

Theaterorten vorzufahren, denn die lokale Ordnungshüterei fungiert als Beförderungs-Freund und Helfer. Beispielsweise direkt in die JVA zu "Schiller - Gefangen - Endlich". Auch im Knast spielt man Schiller.

Wem jetzt der Geist noch flattert, kann sich in Podiumsgesprächen zwischen Wissenschaftlern zu Themen wie Hirnforschung und Moral - oder aber in der allabendlich bewährten Schillerlounge den Rest geben. Das nennen wir Freiheit!

Bis 12. Juni. Informationen und Karten: (0621) 1680-150

 


 

 


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