Drohende Finnlandisierung

Österreichische Erstaufführung von "Mnemopark"

Von Caro Wiesauer

09.10.2005 / Kurier

Heidy ist gelernte Stahlbauschlosserin und hat einmal eine Brücke gebaut, die später als Kriegsentschädigung Richtung Osten abtransportiert wurde. Die Brücke erfüllt dort, wo sie abgeladen wurde, keinerlei Zweck und dämmert moosbewachsen dahin. Heute baut Heidy nicht nur Brücken für die Modelleisenbahn, sondern lässt ganze Landschaften nach literarischen und fantasievollen Vorlagen "z. B. Neuschwanenstein" entstehen. Auch ihre Kenntnisse als Seidenmalerin bringt die 1937 in Leipzig Geborene mit ein.

So wie Heidy hat jeder der Beteiligten seine Biografie in das Projekt "Mnemopark eine Modelleisenbahnwelt" einfließen lassen. Am Rande der über 30 Meter langen Eisenbahnstrecke, die für ein Gastspiel des Theaters Basel im Tanzquartier aufgebaut wurde, lassen sich im Maßstab 1:87 ihre Lebensgeschichten als Zeitreisen nachvollziehen. Das Bühnengeschehen wird mittels einer am Zug angebrachten Minikamera lebensgroß auf eine Leinwand projiziert. Die Lok durchquert Geburtsorte und frühere Arbeitsstätten der Beteiligten genauso wie den Käfig eines Huhns (das an diesem Abend darauf vergaß, das obligate Ei zu legen). Auch ein Zierfisch-Aquarium wird befahren.

Fleischberg

Es liegen aber auch der Schweizer Fleischberg (600 Tonnen pro Jahr) und ein malerischer Milchsee an der Strecke. Und aus Kokosmatten gefertigte Getreidefelder mit den, bei Touristen so beliebten Ufo-Landekreisen. Womit wir beim politischen Aspekt des von Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) ersonnenen Abends wären. Zum Beispiel: Würden die Schweizer Bauern aufhören zu bauern, wäre das einerseits eine große Entlastung für die Bundeskasse. Andererseits würde dem schmucken Ländchen die 'Finnlandisierung' drohen. Tannen sind nämlich stärker als Wiesen, erklärt Hermann Löhle, der früher aus Bäumen Möbel gemacht hat. Heute macht der Modellbauer Bäume aus Holz und setzt sie im Schwäbischen Land aus.
Trotz des künstlich aufrecht erhaltenen Berufsstandes der Landwirte werden seit zehn Jahren jeden Tag sieben Bauernhöfe in der Schweiz aufgegeben. Ehemalige Bauern versuchen sich in Randzonen; übernehmen die
Besamung der Kühe nach Katalog-Spermienauswahl; legen herrliche Greens für die Golf-Society an. Die Kuhfladen - im "Mnemopark" penibel aus bemaltem Leim gefertigt - liegen vor Bauernhöfen, wie dem von Rahel
Hubacher. Die in Bannwil aufgewachsene Schauspielerin führt stolz den elterlichen Hof vor. Hier hat sie heuen und melken gelernt. Dort, wo in ihrer Kindheit Kühe grasten, parken heute die Bagger. Vater hat
umgesattelt.

 
Info: Bis 8. 10., 20:30 Uhr im Tanzquartier Wien, MQ, Halle G

 


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Mnemopark