Von Sophie Diesselhorst
13.04.2009 / Cicero - Magazin für politische Kultur
Fürs „So tun als ob"-Theater interessieren sich Rimini Protokoll nicht: in den Inszenierungen der vielfach preisgekrönten dreiköpfigen Dokumentartheatertruppe treten ausschließlich Laienschauspieler auf – in
den Rollen, die sie im „echten Leben“ spielen. Nun haben Rimini Protokoll ihr Konzept auf die Spitze getrieben: sie haben das Theater verlassen und ihr Publikum auf eine „Recherchereise“ eingeladen – in die Aktionärs- Hauptversammlung von Daimler.
„Ein Theater, das um acht Uhr morgens anfängt statt um acht Uhr abends und mindestens zwölf Stunden dauert“ – um die Zuschauer darauf vorzubereiten, luden Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel alias Rimini Protokoll zwei Tage vor der Hauptversammlung zum Briefing ins Hebbel am Ufer, ganz normal um halb acht Uhr abends.
Lars Labryga, Vertreter der ältesten deutschen Aktionärsschutzvereinigung SdK, skizzierte den Ablauf der Hauptversammlung und gab Tipps, woran man gekaufte Redner erkennen kann. Philipp Halfstrick, Wirtschaftsjournalist, erklärte, warum er sich immer über aufsässige Aktionäre freut – und Thomas Zell, Mercedes Benz-Manager a.D., trat für seinen ehemaligen Arbeitgeber ein und gab am Ende trotzdem zu, dass die Hauptversammlung nicht ganz so basisdemokratisch ist, wie sie sich gibt: „Der Ausgang ist eigentlich klar.“ Wie im Theater.
Zwei Tage später hat sich bereits um halb neun Uhr morgens eine Schlange vor dem Eingang zum Berliner ICC gebildet. 180 Hostessen und Hosts haben sich pünktlich zum Einlassbeginn in ihre Kostüme geschmissen – man erkennt sie an ihren weißen Pullundern von weitem – und ein freundliches Lächeln angeknipst.
6.600 Aktionäre strömen in die Korridore des Konferenz-Zentrums, wo dem wohlwollenden Start in den Tag mit Café und Croissants nachgeholfen wird. 200 von ihnen sind Theaterzuschauer. Erkennen kann man sie an den weißen DIN A 4- Büchern, die sie mit sich herumtragen: das sind die Programmhefte, die Rimini Protokoll als Begleitmedium zu dieser „Eigentümerversammlung“ verteilt hat. Sie enthalten Beiträge zum Phänomen Hauptversammlung, gesehen aus den verschiedensten Perspektiven: so kommen ein Aktienrechtler, ein Aktienhistoriker und eine Aktionärin zu Wort, genauso wie ein Gewerkschafter, ein Daimler-Kritiker,
ein Umweltschützer, eine Theaterwissenschaftlerin – und noch einige mehr.
Der erste Akt des „Schauspiels in fünf Akten“ ist also schon in vollem Gange, sein Titel laut Programmheft: „Einlass ab 8h“.
Für den zweiten Akt „Begrüßung und Formalia“, zu dem das Publikum in Saal 1 strömt, wo sich auch die eigentliche Bühne befindet, bietet das Programmheft eine Checkliste mit 23 Punkten, die exakt dem tatsächlichen Ablauf entspricht – nicht etwa, weil Daimler den Theaterleuten den Ablaufplan im Vorhinein zur Verfügung gestellt hat, sondern schlicht und einfach, weil der Versammlungsleiter nicht nur jedes Jahr die gleichen Spielregeln verkündet, sondern offenbar auch jedes Jahr die selben Formulierungen dafür wählt. Eine Anmerkung steht allerdings nicht auf der Checkliste: Manfred Bischoff, Aufsichtsratsvorsitzender und qua Amt
Versammlungsleiter, bezieht gleich zu Anfang Stellung zu Rimini Protokolls Umwidmung der Hauptversammlung zu einem Schauspiel: „Dies ist hier weder ein Schauspiel noch ein Theaterstück!“
Vielleicht wäre es an dieser Stelle interessant gewesen, Manfred Bischoff einmal zu fragen, was er denn unter „Theater“ oder „Schauspiel“ versteht. Dazu besteht leider keine Chance, denn im Programm folgt die Rede des Vorstandsvorsitzenden Zetsche auf dem Fuße: Derart floskelhaft, dass man sich doch immer wieder dabei ertappt, der tieferen Bedeutung dieses Textes interpretierend hinterher zu jagen.
Diese etwa halbstündige Rede ist Hauptgegenstand der folgenden Generalaussprache, die zeitlich den größten Teil der Hauptversammlung ausmacht. Unglücklicherweise fällt der Beginn der Generalaussprache mit dem Beginn der Mittags-Verköstigung zusammen. Saal 1 leert sich also zunehmend zugunsten des Wiener Würstchens. Auch die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder auf der großen Bühne verschwinden immer wieder hinter die Kulissen. Ob es dort auch Wiener Würstchen gibt? Nicht alles wird offengelegt.
Dem Redegeschehen übrigens entflieht man nirgendwo: bis in die Toiletten reicht die Tonübertragung. Im Programmheft schreibt der „HV-Berater“, dass die Antworten auf die ersten fünf Frager bereits mit diesen abgesprochen sind. Ein abgekartetes Spiel. Im Vertrauen auf den Experten zieht die Zuschauerin also den Joker: den einzigen Verfremdungseffekt, den Rimini Protokoll mitgeliefert hat. Eine Telefonhotline bietet Begleitmusik zum Aktionärs-Spektakel: zur Auswahl stehen Soundtrack-Empfehlungen der Experten aus dem Programmheft (die Theaterwissenschaftlerin empfiehlt eine Strauss-Symphonie, der Aktionärsschützer die Arie „Nie sollst du mich befragen...“ aus Richard Wagners „Lohengrin“), außerdem eine Auswahl der Stücke, die der Daimler-Chor am Nachmittag der Hauptversammlung in Stuttgart proben wird (unter anderem Louis Armstrongs „Oh, what a wonderful world“). Auch weitere Stimmen zur Hauptversammlung kann man sich anhören, und schließlich, um die theatralische Erfahrung zu stärken, wo sie zu schwächeln droht: Applaus, Pfiffe und Buh-Rufe.
Davon allerdings gibt es in Saal 1 genug. Drei Top-Themen haben sich schnell herauskristallisiert: die mangelnde Effizienz der Daimler-Mobile, die zweifelhafte Beteiligung des Autoherstellers am Rüstungskonzern EADS und die Tatsache, dass Daimler dieses Jahr zum ersten Mal seit Unternehmensgründung nicht alle Auszubildenden übernehmen will. Auch wenn sich vieles wiederholt, so wird der Redemarathon selten langweilig. Denn Selbstdarstellung wird groß geschrieben. So rundet beispielsweise Lars Labryga seine Kritik an der Krisenstrategie des Konzerns mit einem vernichtenden Urteil über das Design der eben auf den Markt gekommenen E-Klasse ab. Ein Berliner Kleinaktionär beschwert sich darüber, dass das Management-Denglisch auch bei seinem Konzern angekommen ist. Und ein offenbar altbekannter Versammlungsschreck fordert Daimler dazu auf, sich verstärkt für den Erhalt des brasilianischen Regenwaldes einzusetzen.
Mittags eröffnet Rimini Protokoll einen Nebenschauplatz: Unten, gleich neben dem Ausgang, wo Daimler seine neuen Trucks vorstellt, trifft das Theaterpublikum sich stündlich zu „Nischengesprächen“ mit Vertretern der verschiedensten Interessengruppen.
Die Aktionäre könne man wohl kaum in ihrer Meinung beeinflussen auf so einer Hauptversammlung, vermutet der Betriebsrat. Er findet es schade, dass die Hauptversammlung nicht wie früher in Stuttgart stattfindet. Gerade in Krisenzeiten wären die Mitarbeiter nur so zur Hauptversammlung geströmt – und hätten durch ihre pure Masse den Vorstand zur Auseinandersetzung über seinen rigiden Sparkurs gezwungen, meint er.
Lars Labryga kommt vom Rednerpult gestürmt und lässt sich über den „unsouveränen“ und „unfreundlichen“ Versammlungsleiter Manfred Bischoff aus. Er ist erschöpft und überschwänglich zugleich – der Theaterzuschauer muss unwillkürlich an einen Schauspieler denken, der gerade seinen Applaus entgegengenommen hat und noch nicht ganz am Boden der Tatsachen wieder angekommen ist.
Weiter oben leert sich das Büffet – und mit dem Essen schwinden die Aktionäre. Im Saal werden die Fragenblöcke unterdessen immer länger, die Antworten immer kürzer und immer vager.
Ein Daimler-Sprecher stößt zu den Theaterzuschauern und gewährt wohldosierten Einblick in die Inszenierung: Hunderte von Daimler-Mitarbeitern bereiten sich nach seinen Angaben vor der Hauptversammlung auf mögliche Fragen vor – und formulieren Antworten für den Vorstand. Unmittelbares ist also tatsächlich nicht zu erwarten von den hohen Tieren.
Ein Vertreter der „Kritischen Daimler-Aktionäre“, die sich dieses Jahr vor allem auf Daimlers Rolle beim Rüstungskonzern EADS eingeschossen haben, versucht in der „Neben-Nische“, die Theaterzuschauer für das nächste Jahr zu rekrutieren. Er ist überzeugt davon, dass kritische Redebeiträge etwas bewirken bei der Unternehmensleitung – wenn man das auch während der Hauptversammlung noch nicht merke. Mit 100 Rednern will er die Hauptversammlung 2010 sprengen. Man darf also gespannt sein auf die nächste Aufführung.
P.S.: Ein bisschen mehr als 40 Prozent des Daimler-Kapitals waren - größtenteils in Form von in die Jahre gekommenen Kleinaktionären – anwesend. Vorstand und Aufsichtsrat wurden von über 99 Prozent dieser Aktionäre am Ende der Hauptversammlung entlastet. Der Prozentsatz der Zuschauer, die nach Manfred Bischoffs Begrüßung in Erwägung gezogen haben, die Hauptversammlung als Theaterstück zu betrachten, ist leider unbekannt.
Ausdruck von http://www.cicero.de/97.php?ress_id= &item= 3647
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