Von Hilde Haider-Pregler
30.01.2004 / Wiener Zeitung
Der inszenierte Tod findet nicht nur auf der Theaterbühne statt. In der Realität tabusiert man zwar schon seit langem den letzten Lebensakt, dafür laufen Begräbnisse nach wie vor als theatrale Rituale ab. Bestattungsunternehmen und Theatermacher setzen also den Tod auf ihre Weise spektakulär in Szene. In diesem professionellen Umgang mit dem Sterben sieht das dreiköpfige Autoren-Regie-Kombinat, das seit 2000 unter dem Markenzeichen „Rimini Protokoll“ zusammenarbeitet, „eine Schnittstelle von bürgerlicher Gesellschaft und dem Parabolspiegel Theater, den sie sich leistet.“ In „deadline“ erproben Helgard Haug, Stgfan Kaegi und Daniel Wetzel wie bereits in ihren vorangegangenen Produktionen ein neues Theaterlabor-Verfahren. Am Anfang steht die Recherche vor Ort, die Auskunftspersonen vertreten ihre Sache dann selbst auf der Bühne. Nicht als Laien, sondern ausdrücklich als „Spezialisten“. Authentisches Theater oder theatral aufbereitete Aktualität? Die Frage muss wohl offen bleiben.
Die mit Blumen und Kränzen geschmückte Bühne wird zur Aufbahrungshalle, wo man, den Zeitplan streng betrachtend, eine Trauerfeier vorbereitet. Authentisch und professionell agierende Darsteller geben in einer eineinhalbstündigen Multimedia-Montage aus verschiedener Perspektive wie selbstverständlich teils skurrile, teils beürhrende, teils witzige, ja sogar zynisch anmutende Einblicke in ihre alltäglichen Berufserfahrungen mit dem Tod, mit Sterbenden und mit Hinterbliebenen. Auch die Vorstellungen von der eigenen Todesinszenierung werden nicht ausgespart. Man begegnet einem ehemaligen Bürgermeister (Hans-Dieter Ilgner), auf dessen Initiative das Rhein-Taunus-Flammarium gebaut wurde und der sich ein Denkmal auf dem Gelände dieser Nekropole erhofft.
Als auf Grabsteine spezialisierter Steinmetz arbeitet Hilmar Gesse, Alida Schmidt ist Krankenschwester, studiert daneben Medizin und arbeitet als Vorpräparatorin, Olav Meyer-Sievers schreibt und hält Trauerreden. Wienerische Töne bringt Erich Klug ein, der – zusammen mit manchen Chormitgliedern aus der Staats- und Volksoper – bei Begräbnissen als Sänger mitwirkt, wobei die Wünsche der Hinterbliebenen vom Trauerchoral bis zu „Stellt’s meine Ross’ in Stall“ reichen. Und Alfred Rupert wechselte von der Wienbestattung ans Burgtheater, wo er mittlerweile als Oberbilleteur fungiert. Statements einer Krankenschwester, die so manchen Todeskampf hautnah miterlebt hat werden im O-Ton eingespielt: Sterbende, so erfährt man von ihr, rufen in ihren letzten Stunden ohne Ausnahme nach der „Mama“.
Auf der rieseigen Videoleinwand verficht ein Mitglied des „Vereines für humanes Sterben“ ruhig und bestimmt das (problematische) Recht des Menschen auf ein selbst bestimmtes Sterben, man erfährt von Tonbandstimmen-Forschern, die mit den Jenseitigen Kontakt aufnehmen. Schauspieler/innen – u. a. Nicole Heesters und Roland Koch – berichten in Video-Interviews vom Tod auf dem Theater, sei es vom gespielten, sei es vom Schock, wenn ein Kollege während einer Vorstellung auf offener Bühne stirbt.
Insgesamt ein zwiespältiger Abend: Eher auf die Bühne transponierte soziologische Feldforschung, penibel recherchiert, detailgenau montiert, unprätentiös und engagiert dargestellt. Trotzdem kein „Memento mori“, aber viel Stoff zum Nachdenken.