Von Joachim Schreiner
31.01.2006 / Frankfurter Neue Presse
Es ist bekannt, dass der Mann auch im Erwachsenenalter von einem gewissen Spieltrieb beherrscht ist. Besonders beliebt ist da die elektrische Modelleisenbahn. Doch hat sich der Schweizer Regisseur und Theater-Experimentierer Stefan Kaegi bei seinem fast den halben großen Saal des Mousonturms beherrschenden Modell im Maßstab 1:87 nicht selbst hinter Loks und pittoresk eingerichteten Kunstlandschaften verschanzt, sondern vier Rentner und eine Moderatorin platziert, die diese Landschaft zum „Mnemopark“ (Erinnerungspark) zwischen Theater, Film und Installation machen. Die Mitglieder eines Vereins, der die etwas anachronistisch anmutende Pflege der Modelleisenbahn leidenschaftlich betreibt, berichten von ihrem Leben in einem Land, das schon immer ein wenig anders war oder sein wollte als die restlichen Alpenstaaten. Kaegi hat auf die Züge, die munter 37 Kilometer Schienenstrecke abfahren, Kameras gebaut, die simultan das Erzählte auf Leinwände beamen und einen lebendigen Dialog zwischen Zuschauer und Protagonisten herstellen. Da gibt es allerhand Wissenswertes zu erfahren: Kaegi kann alles mit gründlich recherchierten Zahlen und Statistiken belegen. Seine als Laiendarsteller eine erstaunlich gute Figur abgebenden Senioren berichten etwa, dass in der Schweiz ein Fleischberg besteht – aufgetürmte Wurstwaren belegen dies frappant. Und dass indische Regisseure wegen der optischen Attraktivität der Alpenlandschaft in der Schweiz ihre beliebten „Bollywoodfilme“ drehen. Oder dass die Bauern mit von Außerirdischen angelegten Kornkreisen den Verdienstausfall in der subventionierten Agrarwirtschaft zu kompensieren versuchen. All dies ist stets ein wenig skurril, aber sehr unterhaltsam. Kaegis Kunst ist das Vermischen von Form und Inhalt, von Authentizität und Fiktion, von Mensch und Material. Aber ist das noch Theater?