Von Karim Saab
09.04.2009 / Märkische Allgemeine
BERLIN - Seit der Jahrhundertwende sucht die Gruppe Rimini-Protokoll sehr erfolgreich nach innovativen Auswegen aus der Krise des deutschen Stadttheaters. Die drei um 1970 geborenen Regisseure arbeiten nicht mit Schauspielern, die auf der Bühne so tun, als seien sie jemand anderes. Sie bevorzugen ganz normale Menschen, die am überzeugendsten sich selber darstellen. Ihren Inszenierungen über Themen wie Tod, Globalisierung oder ägyptische Muezzine gehen aufwendige Recherchen, Interviews und Castings voraus. Rimini-Protokoll steht für ein unkonventionelles, politisch brisantes und äußerst glaubwürdiges Dokumentartheater, das berührt und erhellt.
Fünf Jahre hat sich das Trio mit dem Gedanken herumgeschlagen, die jährliche Aktionärs-Hauptversammlung eines deutschen Konzerns in ein Theaterereignis zu überführen. Sie erwogen, vom Rederecht der Aktienbesitzer Gebrauch zu machen. Doch wozu? Um einen Kongress zum Tanzen zu bringen? Was hätten sie zu sagen? Diese Form der Einmischung haben kritische Aktionäre und politische Aktivisten längst für sich entdeckt. Auch die Möglichkeit, eine Hauptversammlung per Videoleinwand in ein Theater zu übertragen, wurde verworfen. Schließlich begnügte sich Rimini-Protokoll damit, die gestrige Aktionärsversammlung der Daimler-AG zu einem Theaterstück auszurufen. 150 Theater-Freunde mischten sich unter die etwa 8000 Aktionäre, die vor allem aus dem Schwabenland ins Berliner ICC kamen.
„In unserer Inszenierung geht es nicht darum, die Selbstpräsentation eines Global Players als Show zu denunzieren“, heißt es im 112-seitigen Programmheft, dessen grafische Gestaltung sich am Geschäftsbericht des Unternehmens orientiert. Die Beiträge stammen aber nicht von Daimler-Mitarbeitern, sondern von Branchenprofis, die sehr interessant aus dem Nähkästchen plaudern und Sinn und Unsinn solcher Großveranstaltungen ausleuchten. Auf Seite eins findet sich der Besetzungszettel, auf dem Dr. Dieter Zetsche die Hauptrolle („als Vorstandsvorsitzender“) zuerkannt wird. „Kostüme: Pierre Laffitte, Brioni, Hugo Boss, Kostümassistenz: „H & M“, heißt es auch. Der Humor kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Rimini-Protokoll nicht gelungen ist, eine eigene theatrale Form zu entwickeln. Stattdessen preisten die Regisseure der Öffentlichkeit die Hauptversammlung – unkritisch und affirmativ – wie ein Readymade-Kunstwerk an. Diese Minimal-Lösung zeigt, wie schwer es politisches Theater heute hat, wenn es nicht bevormundendes Agitprop sein will. Rimini-Protokoll beschränkte sich auf aufklärerische flankierende Maßnahmen.
„Das hier ist weder ein Schauspiel noch ein Theaterstück!“, beteuerte der Aufsichtsratsvorsitzende bereits im ersten Redebeitrag. Ein Anwalt hatte Rimini-Protokoll zuvor gesagt: „Für uns wäre die beste Presse, wenn das Feuilleton schreibt, es sei langweilig gewesen.“
Dass sich die hohen Herren bei einer solchen Veranstaltung möglichst vorteilhaft und unangreifbar in Szene setzen, ist eine Binsenweisheit. Lehrer, Pfarrer und Ärzte machen das tagtäglich nicht anders. Natürlich lassen sich mühelos Parallelen zwischen einer Hauptversammlung und einer Theateraufführung feststellen: Das beginnt mit den Platzanweisern, geht über das Bühnenbild bis hin zu spontanen Beifalls- und Unmutsbekundungen aus dem Publikum.
Doch am Ende besaß das Theaterstück nur den Charme einer Reality-Show, in der sich die Realität selber erzählen soll. Die kalte Pracht der Kulissen erinnerte an eine amerikanische Gerichts-Show. An einer langen Tafel im erhöhten hinteren Teil der Bühne saßen die Vorstände als wären sie die Geschworenen. In der Mitte saßen die Vorsitzenden als seien sie selbst das Hohe Gericht. Im zweiten Akt durften dann die Aktionäre einzeln vortreten und in niedrig stehende Mikrofone ihre Anklagen hineinsprechen, bis sie weggeschickt wurden, weil ihre Redezeit abgelaufen war.
Theaterkritiker hat die Wortlastig- und Poesielosigkeit der Aufführung abgestoßen. Auch bildhafte Frmulierungen wie der Satz „2008 war ein Jahr mit zwei grundverschiedenen Gesichtern“ fielen nur selten. Sinnlichste Komponenten waren da noch die beiden auf der Seitenbühne geparkten E-Klasse-Modelle, die im Scheinwerferlicht blitzten. Und die Darsteller? Dieter Zetsche wuchs in keiner Szene über sich hinaus. Musste er auch nicht. Er versprühte die Aura eines biederen Ingenieurs. Nur sein gewaltiger Maxim-Gorki-Schnauzbart und sein rosa Schlips, der mit dem Rot seiner Lippen und seiner Glatze kollidierte, ließ ihn aus dem Rahmen fallen. Wenigstens ein kritischer Aktionär, Hans-Martin Buhlmann, konnte durch Rhetorik überzeugen. Wie er stets langsam anhob und dann einen Gedanken bis zum Überschlag steigerte, das hatte Biss.
Dass die Dramaturgiekurve der Hauptversammlung dennoch nie ganz abflachte, war einem permanenten Zwischenrufer zu verdanken, der mit heftigen Bemerkungen sowohl das Podium als auch das Auditorium nervte und zur Weißglut brachte. Wer nun denkt, Rimini-Protokoll hatte vielleicht doch einen Schauspieler eingeschleust, irrt. Der Störenfried, ein Herr Stockhausen, war sogar dem Versammlungsleiter namentlich bekannt und wurde trotz wiederholter Drohung („Running Gag“) toleriert und nicht des Saales verwiesen.