Von Marcus Hladek
30.01.2018 / Frankfurter Neue Presse
„Rimini Protokoll“ und Brett Bailey schmuggelten im Frankfurt-LAB humanitäres Engagement in wunderbare Performances: „Evros Walk Water“ und „Sanctuary“.
Nicht alle Bühnenformen von „Rimini Protokoll“ sind so heiter und verspielt wie „Evros Walk Water“. Daniel Wetzel (Konzept, Regie) arbeitete 2015 mit unbegleiteten Flüchtlingskindern eines Athener Wohnheims; die jetzige Premiere führt das fort. Jene Kids waren und sind aber so „drauf“, wie Teenies eben sind: viel Lachen und Gefrotzel und Computer-Talk, übersetzt von deutschen Kinderstimmen.
„Evros Walk Water“ adaptiert einen TV-Auftritt des Komponisten John Cage von 1960, der als „Water Work“ zur Legende wurde. Er wird im „LAB“ gezeigt, bevor die Zuschauer mit Stimmen der Kinder im Kopfhörer ihren Klang-Parcours im Live-Raum aufnehmen. Cage hatte in jener Sendung à la „Was bin ich?“ Klangquellen bespielt, die das unbeleckte Studiopublikum belustigten: Gießkanne, Badewanne, Rosen, Krug, Gussrohr, Weinflasche, Mixer, Gummiente, Sodaflasche, Eiswürfel, Spielzeugfisch. Auch „Evros Walk Water“ dreht sich um Wasser. Der Titel meint übrigens den Grenzfluss Evros. Statt Cages Wanne rückte jetzt ein Schlauchboot ins Zentrum. Klavier und Zimbeln von 1960 fallen Elektronik und hellenischer Zither zum Opfer. Objekte aus realen Erlebnissen oder Fantasien der Jugendlichen kommen hinzu: Megafone, Zaunstück, Fernlenk-Rennauto; weiße Blumen (eine traurige Erinnerung), Schuss- und Sprenggeräusche auf Knopfdruck. Ketten ums Ofenrohr; Billardkugeln. Ohne von der Not überwältigt zu werden, ermöglichen uns der Weg im Raum, der sokratische „Daimon“ fröhlicher Dialoge im Ohr und all die Realien, die Ahnung erlittenen Leids anzunehmen.
„Rimini“ stützte sich für Recherche, Struktur (Ioanna Valsamidou) und Bühnenbild (Magda Plevraki) auch auf Hilfe vor Ort. Ähnlich Brett Bailey, der das Labyrinth „Sanctuary“ vom Mythos ableitet, wenn er den Minotauros nebst Ariadnefaden als Weg zwischen Zäune und Stacheldraht versetzt. Europa mit seiner meerblauen Fahne nebst gelben Sternen: Ein dunkles Lager-Labyrinth verschlingt Menschenopfer. Welch bittere Pointe! Schützenhilfe leistete ihm das „Onassis Cultural Centre“ in Athen. Solang Griechenlands Reiche ihr Geld als Mäzene zum gemeinen Nutzen einsetzen, versteht man fast, wie ungern sie es im Mahlstrom Staat versenken.
„Sanctuary“ ist eine Geisterbahnfahrt; „Evros“ sehr viel komplexer. Einen Aspekt löst „Sanctuary“ aber wunderbar. Bailey setzt körperlich präsente Menschen ein, an denen wir, am Ariadnefaden entlang, vorbeiflanieren. Der Schwarze im Käfig, die Hure im Rotlicht, die Trikolore-strickende Le-Pen-Anhängerin zu Calais: Museumsdioramen? Ein kolonialer Ethno-Zirkus? Jedenfalls wollen wir die Personen „echt“ finden, damit aber hat es uns am bösen dunklen Herzen erwischt. Denn natürlich sind dies Studenten, Sozialarbeiter, Integrierte, die eine Rolle spielen, wie Tafeln uns erklären. So hebelt Kunst irrige Selbstverständlichkeiten aus.