Von Jens Fischer
13.10.2014 / Die deutsche Bühne
Durchaus auch raubkopierend hat sich China empor gewirtschaftet. Lernen durch Nachahmen – nun gilt es, dieses Prinzip andersherum anzuwenden: Karaoke mit China machen. Das hatte Stefan Kaegi als ästhetisches Prinzip seiner Bühneninstallation am Schauspiel Hannover ausgegeben. Von China lernen heißt siegen lernen? Volkswagen soll als Beispiel dienen. Als einer der ersten Großkonzerne brachen die Wolfsburger aus dem Westen in den fernen Osten auf und legten im postmaoistisch noch recht isolierten Land in den 1980er Jahren mit forschen Joint Ventures die Basis für einen sehr einträglichen Export ihres Know-hows im Autobauen. Heute genießen sie dort den kapitalistischen Traum einer ständig unbefriedigten Nachfrage, dank stetig steigender Kaufkraft, und können durch zweistellige Wachstumsraten den schwächelnden Absatz in Europa mehr als kompensieren.
Ins Boomland China versetzte VW-Mitarbeiter stehen nun auf der Theaterbühne – aber nicht wie sonst bei Kaegis Rimini Protokoll-Inszenierungen stilbildend üblich als Experten ihrer selbst, sondern in Schauspielergestalt. So können vor Ort geführte Interviews, Blog-Einträge, Tagebuchnotizen, E-Mail-Dialoge mehrer Personen auf einige Prototypen konzentriert werden, die in der Vorstandsetage, dem PR-Büro, Ingenieur-Team und der Selbsthilfegruppe mitgereister Ehefrauen angesiedelt sind. Und vermitteln sollen, was mit Menschen geschieht, die im Ausland arbeiten. Hinterm Schutzschild besserwisserischer Eroberer entdecken sie zuerst Klischees: Smog, Lärm, Tierköpfe in Suppen, 320 Arbeitstage im Jahr und belebte Fabriken, denn bei 200 Euro Monatsverdienst seien Menschen in China billiger als Roboter. Fremdelnd staunen die deutschen Gastarbeiter – beginnen sich aber bald zu akklimatisieren, werden immer asiatischer im Denken und Alltagshandeln. Die Methode: Kapieren durch Kopieren. Das illustriert auch eine Hannoveraner Kindergruppe, indem sie chinesische Schule spielt: lernen durch nachsprechen der Lehrerworte.
Eine chinesische Tänzerin animiert derweil VWler, ihre Bewegungen nachzuahmen, um etwas von Kung Fu, Thai Chi, also einem anderen Verhältnis zu Zeit und Körper zu erfahren. Die sich sonst zu einem maschinell groovenden Soundtrack bewegen, den der Bühnenmusiker gern mal aus dem Takt geraten lässt, so dass die Figuren taumeln, stolpern, stürzen. Während die Theatermaschinerie im Leerlauf mit dem Bühnenbild tanzt, der Billigkopie einer VW-Produktionshalle – inklusive Propagandasprüchen und Projektionsflächen für Filme, die Kaegi von seiner Recherchereise mitgebracht hat. Vor allem geht’s um persönliche Begegnungen abseits der Metropolen. Stippvisite bei Leiharbeitern in ihren Massenunterkünften. Zu Besuch auf dem Lande, wo Eltern Geld zusammenkratzen, um ihrem Kind ein Auto zu kaufen: Das symbolisiere den Sprung in die Mittelschicht. Eindrücke von der Erstbegegnung mit einem fremden Land.
Kaegi hat aus seiner Materialsammlung mit lockerer Dramaturgie einen Reisebericht collagiert, der so charmant bescheiden wirkt, weil er eben nicht zur investigativen Reportage aufgestylt wird. Früher wurde so etwas als Dia-Abend zelebriert, kürzlich noch waren Powerpoint-Präsentation en vogue, heute präsentieren Globetrotter ihre Reisen gern als Multimedia-Spektakel. Da kommt Kaegis Schritt zurück zur Performance gerade recht. Spektakulär unspektakulär. Nicht überwältigen wollen, sondern Angebote zum Mit-, Weiter-, darüber Nachdenken bieten. Keine Wahrheiten verkünden, sondern Sichtweisen, Beobachtungen wiedergeben. Das immer atmosphärisch so hübsch poetisierte Dokumentartheater der Rimini-Protokollanten hat durch die Abwesenheit der Experten seinen Authentizitätsanspruch aufgegeben, um kunstwillig an Wahrhaftigkeit zu gewinnen.
So könnte „Volksrepublik Volkswagen", Untertitel "China Bilder Import“, zur Pflichtveranstaltung für alle werden, die sich auf einen China-Aufenthalt vorbereiten. Und auch einen Ausflug ins Kabarettistische zu schätzen wissen. Filmbilder des KP-Parteitags in Peking und der VW-Aktionärsversammlung werden einander gegenübergestellt. Erstaunlich ähnlich wirken sie und regen die Frage an: Ist der VW-Konzern nicht längst so organisiert wie der KP-Staat? Nur etwas arbeitnehmerfreundlicher designt? Und wäre dann nicht eine VW-Partei ideal für Deutschlands ökonomische Zukunft? Die Kopiergeschichte geht weiter …